Originaltitel: X-Men: The Last Stand
USA, 2006
Kinostart: 25.05.2006
Nach den dramatischen Ereignissen in X-Men 2, wo sich die Telepathin Jean Grey opferte, um ihre Freunde und Mitstreiter zu retten, scheint erst einmal Ruhe in die fortwährende Auseinandersetzung zwischen Menschheit und Mutantenschaft eingekehrt zu sein. Doch die Bekanntmachung eines Heilmittels gegen die Mutationen, welches aus den Fähigkeiten eines besonders begabten Mutanten resultiert, lässt die Erde in ihren Grundfesten erschüttern. Mutanten können sich nun erstmals entscheiden, ob sie weiterhin mit ihren Kräften leben möchten und gebrandmarkt ein Dasein am Rande der Gesellschaft fristen, oder ob sie auf selbige verzichten, um dadurch Akzeptanz und Integration zu erfahren.
Eric Lehnsherr alias Magneto, von den Nazis des Glaubens an die Menschheit beraubt und als Herr des Magnetismus über schier unbegrenzte Macht verfügend, befürchtet, dass das Heilmittel als Waffe gegen seine Art eingesetzt werden könnte. Infolgedessen schart er eine Armee aus folgsamen Mutanten um sich, um die entscheidende Schlacht zu schlagen und den Kampf der Rassen endgültig für sich und die Seinigen zu entscheiden. Charles Xavier alias Professor X, der an ein friedliches Miteinander aller Lebewesen glaubt, stellt sich mit seinen X-Men Magneto in den Weg. Doch den entscheidenden Faktor markiert eine Mutantin, die mächtiger ist, als alles bisher Dagewesene…
Kaum jemand, speziell die Comicfans unter den Kinogängern, konnten sich der Faszination der ersten beiden X-Men-Filme entziehen. Diese zeigten auf beeindruckende und zugleich überaus unterhaltsame Weise, dass Comicverfilmungen mehr sein können als bloße Special Effects-Orgien mit eindimensionalen Figuren und hanebüchenen Geschichten. Bryan Singer, Regisseur der bisherigen Teile, bewies zudem ein außergewöhnliches Gespür für starke Charaktere, führte diese grandios in eine geradlinig erzählte, wenngleich intelligente und vielschichtige Handlung ein und konnte darüber hinaus auch mit der Inszenierung von fesselnden Actionsequenzen glänzen.
Kein Wunder also, dass ein Aufschrei durch die stetig gewachsene Fanbasis ging, als bekannt wurde, dass der Ausnahmeregisseur sich von Warner Bros. und deren Superman Returns-Projekt hatte ködern lassen und durch Brett Ratner ersetzt werden würde. Die wenigsten trauten dem bislang mit soliden, aber keineswegs berauschenden Arbeiten wie Rush Hour und Rush Hour 2 sowie Roter Drache auf sich aufmerksam machenden Handwerker zu, die übergroßen Fußstapfen seines Vorgängers ausfüllen zu können. Und das Endergebnis zeigt, dass die Skepsis berechtigt war… und auch doch wieder nicht! Eindruck
Doch der Reihe nach: Ratner schafft es in Summe überraschend gut, neue Charaktere einzuführen, doch gibt er ihnen in weiterer Folge einfach zu wenig Zeit zur Entfaltung und lässt sie substanzloser wirken als sie es eigentlich wären. Als Paradebeispiel sei hier Warren Worthington Iii alias Angel (Ben Foster) genannt, der mit einer überzeugenden Eröffnungssequenz bedacht wird, sich jedoch später als wenig relevant herausstellt. Ähnliches verhält es sich mit Kitty Pryde alias Shadowcat (Ellen Page), die den konkurrierenden Love Interrest-Part zu Rogue (Anna Paquin) einnimmt und ein wenig mit Bobby Drake alias Iceman (Shawn Ashmore) anbandeln darf. Wie sie sich jedoch in das Kernteam der aufstrebenden Nachwuchs-X-Men vorarbeiten konnte, bleibt genau so offen wie ihre Hintergrundgeschichte. Pages sympathischer Darstellung ist es zu verdanken, dass sie nicht wie ein Fremdkörper im bereits bekannten Team wirkt. Als besonders farblos entpuppt sich leider der bereits in Teil 2 aufgetauchte
Colossus (Daniel Cudmore), der hauptsächlich als muskulöse Randerscheinung ins Auge fällt. Die meiste Aufmerksamkeit wird Dr. Hank McKoy alias Beast (Kelsey Grammer) zugesprochen, der als politischer Vermittler eine handlungsimmanente Rolle einnimmt und es dem Zuseher damit erleichtert, ihn als wichtigen neuen Charakter anzunehmen.
Die Drehbuchvorgaben verlangen darüber hinaus noch eine beachtliche Zahl an weiteren frischen Figuren, die meisten davon Magnetos Bruderschaft der Mutanten zugehörig. Regisseur Ratner lässt das damit einhergehende Identifikationsproblem jedoch im Grunde gar nicht erst richtig aufkommen: Die Krieger an vorderster Front wie z.B. Juggernaut (Vinnie Jones), Callisto (Dania Ramirez) oder Quill (Ken Leung) bekommen etwas mehr Leinwandzeit, ein paar markige Sprüche und dürfen ihre Fähigkeiten ausführlicher präsentieren als die übrigen. Der Rest taugt als Kanonenfutter für die finale Schlacht.
Und die bereits bekannten Charaktere? Augenscheinlich stehen diesmal auch bisherige Randfiguren mehr im Mittelpunkt: Storm (Halle Berry) ist omnipräsent und zeigt zunehmend Führungsqualitäten, ohne jedoch aufdringlich in den Mittelpunkt zu rücken. Und während Wolverine (Hugh Jackman), wie auch in der Comicvorlage der überzeugendste Charakter, nach wie vor eine zentrale Rolle einnimmt, treten sowohl Cyclops (James Marsden) als auch Rogue in den Hintergrund. Selbiges gilt für Mystique (Rebecca Romijn) und mit Abstrichen auch für Professor X (Patrick Steward). Der charismatische Magneto (Ian McKellen) fungiert nach wie vor als Dreh- und Angelpunkt der bösen Seite, als seine rechte Hand darf diesmal auch Pyro (Aaron Stanford) vermehrt in Aktion treten. Dass Famke Janssen, die als schöne Dr. Jean Grey gleich zwei Männern den Kopf verdrehte, auch wieder mit dabei ist, sollte spätestens nach den Trailern kein Geheimnis mehr sein. Mehr über ihre Rolle sei jedoch an dieser Stelle nicht
verraten.
Erfreulicherweise hat sich an den hervorragenden darstellerischen Leistungen nichts geändert und so zehrt dieser dritte Teil zwar mehr denn je von den extrem starken Persönlichkeiten der ersten beiden Teile, vollbringt aber aufgrund der ausnahmslos gelungenen Neubesetzungen abermals das Kunststück, das extrem umfangreiche Comicuniversum auf der Leinwand adäquat, homogen und eigenständig wirken zu lassen.
Diese Wirkung wird größtenteils auch durch die Inszenierung gefördert, denn Brett Ratner versucht den Pionierstil Singers zu übernehmen. Mit dem Trumpf in der Hinterhand, sich auf die erwähnt großartige Darstellerriege verlassen zu können, setzt er auf große Emotionen und auf ebensolche Bilder - Hierbei darf die tolle Kameraarbeit von Philippe Rousselot (Big Fish, Constantine, Charlie und die Schokoladenfabrik) und James Muro (Open Range) nicht unerwähnt bleiben. Zudem zeigt Ratner, dass auch er imstande ist, atemberaubende Actionszenen zu kreieren. Insbesondere die finale Schlacht ist ein echter Augen- und Ohrenschmaus mit einem Feuerwerk an erstklassigen Stunts und Spezialeffekten. Zwar erliegt Ratner in einigen wenigen Einstellungen ein wenig seinem Hang zum Pathos, ärgerlich wird´s dahingehend jedoch nie.
Am Drehbuch von Simon Kinberg (Mr. & Mrs. Smith) und Zak Penn (X-Men 2) werden sich wohl die Geister scheiden: An den Dialogen gibt es nichts zu beanstanden, wenngleich auch ein wenig mehr Wortwitz nicht geschadet hätte. Die Geschichte selbst hält einige echte Überraschungen bereit und könnte gerade den Comicfans ein wenig zu drastisch und historisch überhastet ausfallen.
Abschließend auch noch ein kurzes Wort zur Musik von John Powell (u.a. Mr. & Mrs. Smith und Ice Age 2 - Jetzt taut´s): Leider fällt diese nicht immer so überzeugend wie in der actionbetonten letzten halben Stunde aus. Insbesondere in den ruhigeren Momenten wären leisere Töne wünschenswert gewesen, um den ohnehin emotionsgeladenen Bildern mehr Raum zur Entfaltung zu lassen.
Fazit: X-Men: Der letzte Widerstand kann zwar nicht ganz mit seinen Vorgängern mithalten, ist aber trotz punktueller Schwächen hochgradig unterhaltsames Popcornkino vom Allerfeinsten.
Michael “Eminence” Reisner