Originaltitel: Hanna
USA, 2011
Kinostart: 26.05.2011
Wenn ein sicherer Blockbuster in den Kinos anläuft, haben konkurrierende Verleiher nur wenige Möglichkeiten. Sie können versuchen, mit einem eigenen Blockbuster dagegen zu halten, doch wenn dieser den Kampf um das Interesse des Publikums verliert, winkt ein teurer Verlust.
Oder sie starten einen kleinen Film, der auf eine komplett andere Zielgruppe ausgerichtet ist und von der Allgemeinheit ignoriert wird.
Diesen Weg geht Sony und setzt Disneys gerade gestartetem Fluch der Karibik Pirates of the Caribbean 4 etwas völlig Gegensätzliches entgegen: einen sehenswerten Film.
Die junge Hanna (Saoirse Ronan) hat ihr bisheriges Leben in der Wildnis Finnlands verbracht, wo ihr Vater, der ehemalige Cia-Agent Erik (Eric Bana), sie zu einer polyglotten Kampfmaschine erzog. Als sie 16 ist, drängt es sie in die große, unbekannte Welt.
Ihr Vater lässt sie gehen, denn sie kennt den Preis. Ihre Reise durch Europa ist eine ständige Flucht vor der Geheimdienstlerin Marissa Wiegler (Cate Blanchett), die mehr über Hannas Vergangenheit weiß als Hanna selbst.
Regisseur Joe Wright sagte in einem Interview, Hanna sei weniger ein Actionthriller als ein Drama mit Actionsequenzen. Es fällt schwer, ihm beizupflichten, denn die emotionale Seite der Geschichte fällt vergleichsweise flach. Die roboterhafte Hanna erlaubt sich nur wenige menschliche Momente, und auch wenn diese Dank der wie immer hervorragenden Saoirse Ronan glaubhaft geraten, ist es zu wenig, um das Publikum wirklich mitfühlen zu lassen.
Bana und Blanchett gefallen in ihren Rollen, auch wenn sie gelegentlich mit ihren Akzenten zu kämpfen haben. Doch auch sie geben sich ausgesucht emotionslos, um zu überleben. Der einzige Charakter, der Spaß an der ganzen Hetzjagd zu haben scheint, ist Marissas Lakai Isaacs. Fluch-der-Karibik-Veteran Tom Hollander spielt den schwulen, wasserstoffblonden, deutschen Sadisten auf die einzige Art, auf die man eine derart überzeichnete Figur spielen kann: mit Gusto.
Spannender als die eigentliche Geschichte ist ohnehin die Art, wie sie erzählt wird. Die generische Thrillerhandlung wird von Elementen aus Grimms Märchen durchzogen, und auch auf Frankenstein und Der Zauberer von Oz wird angespielt. Die Metaphorik gerät mal mehr, mal weniger subtil, jedoch in ihrer Umsetzung stets interessant.
Vor allem widersteht Wright dem Drang, die Action mit der üblichen Spasticam zu zerfilmen und überlässt es dem Soundtrack der Chemical Brothers, den Puls des Zuschauers anzutreiben.
Im Zusammenspiel mit Alwin Kuchlers Kameraführung ergeben sich zahlreiche Momente, die Cineasten ähnlich begeistern dürften wie reine Actionfans.
Ein Actionthriller vom Regisseur von Stolz und Vorurteil und Abbitte - was als Desaster hätte enden können, entpuppt sich als eine der wenigen positiven Überraschungen des bisherigen Kinojahres.
Felix “Flex” Dencker