Kinostart: 30.09.2010
Die Geister, die mich riefen
Boonmee wird an Nierenversagen sterben. Und so haust er auf seiner Tamarindenfarm im Norden Thailands und schließt Frieden mit seiner Vergangenheit als Soldat im thailändischen Bürgerkrieg sowie der Tatsache, dass er letzte Überlebende seiner Familie ist.
So könnte eine säkulare Deutung dessen aussehen, was Regisseur Apichatpong Weerasethakul auf die Leinwand gebannt hat. Aber es wird ganz anders erzählt, mit einer tief im Theravada-Buddismus verwurzelten Gesichte um Wiedergeburt und Geistererscheinungen. Boonmee bekommt Besuch von den Geistern seiner toten Frau und seines verschollenen, zum Dämonenwesen gewordenen Sohnes. Die beiden, seine Schwägerin und sein malaysischer Pfleger begleiten ihn zurück zum Ursprung - den Ort seiner allerersten Geburt, eine unterirdische Felsspalte. Episoden seiner früheren Leben, als Prinzessin, die einen Dämonenpakt eingeht, und als Wasserbüffel werden in diesen prächtigen Bogen hineingewebt. Die Geschichte vom Sterbenmüssen hat auch der Okzident schon oft erzählt. Uncle Bonmees westliche Brüder sind Lynchs Straight Story oder der französische Providence, wo ein Autor sich Nachts mit seinen eigenen Romanfiguren herumschlagen muss. Das Besondere an Uncle Bonmee ist
seine Vielschichtigkeit, dass er also sowohl als Meditation über Vergänglichkeit, als Charakterstudie und auch als Portrait einer Gesellschaft zwischen Tradition und Moderne fungiert. Bei Bonmees Beerdigung beispielsweise halten die Mönche eine uralte Zeremonie ab, während der Altar vor Lichterketten strahlt wie ein Las-Vegas-Kasino. Nach der Beerdigung wird das Geld der Trauergäste gezählt und die Nachrichten über die jüngsten Unruhen geschaut, während ein Mönchsnovize seine erste richtige Dusche nach langer Zeit nimmt.
Die schwärende Wunde eines Landes, das so oft mit sich selbst im Krieg lag, wird ebenso entblößt wie die neueren Tendenzen der thailändischen Politik, das kulturelle Erbe des Landes zu reglementieren.
Diese Mischung aus politischer Aktualität und Phantastik hat nicht nur die Jury von Cannes bezaubert und Uncle Bonmee die goldene Palme eingebracht, sie wird auch bei vielen Filmfreunden weltweit ihren Widerhall finden.
Sven Ole ‘Leisure Lorence’ Lorenzen