USA 2005

Independentfilme haben oft die Eigenart, eigenartig zu sein. So auch Mike Mills´ Thumbsucker, ein hochgradig besetzter Coming-of-Age-Film, der zwar primär die Geschichte eines 17jährigen erzählt, in Nebenhandlungen jedoch Figuren zeigt, die ebenso verwirrt und verunsichert nach dem gleichen suchen: Ihrem Leben.

Justin (Lou Pucci) kommt weder mit dem Schulalltag klar, noch mit zwischenmenschlichen Beziehungen, und wenn ihm alles zuviel wird, zieht er sich zurück und lutscht an seinem Daumen. Jedoch scheint sich alles zu ändern, als er beginnt, Medikamente gegen seine Konzentrationsschwäche zu nehmen: Schulisch befindet er sich nun auf dem aufsteigenden Ast, wird zum Aushängeschild des Debattierclubs und bewirbt sich schließlich für die Journalistenhochschule. Der Nachteil: Durch sein übersteigertes Selbstbewusstsein und ewige Besserwisserei wird er zur Plage für seine Mitmenschen. Daraufhin setzt er die Medikamente ab und sucht nach einem Ersatz für die wiedergekehrte Leerstelle in seinem Leben, die Daumenlutschen allein nicht füllen kann.

Thumbsucker ist ein Film über die Flucht aus dem Alltag, die ewige Sinnsuche nachdenklicher Menschen und vor allem über die Ersatzhandlungen, die all die kleinen Niederlagen kompensieren sollen. Regisseur und Drehbuch-Adapteur Mike Mills beschränkt sich hierbei nicht nur auf den Protagonisten, sondern projiziert dieses Thema in abgewandelten Formen auf jeden seiner Charaktere: Justins Vater kämpft mit seiner verpassten Karriere als Footballprofi, seine Mutter erhofft sich Abwechslung durch die Bekanntschaft mit dem Fernsehstar Matt, der wiederum jede Droge einwirft, die er finden kann. Justins Zahnarzt sucht Antworten in Hippie-Psychologie und seine Freundin Rebecca experimentiert mit Sex und Drogen.
Egal in welcher Situation sich die Menschen befinden, sie alle leiden an dieser Welt, jedoch werden die Charaktere nicht auf Weltschmerz-Klischees oder platte Teenage-Frustration festgelegt. Wie ein guter Popsong befasst sich der Film weniger mit den Symptomen, sondern sucht zwischen den Zeilen nach Antworten.
Thumbsucher greift Fragen auf, die aus Einsamkeit und Heimatlosigkeit resultieren und in Rastlosigkeit und Verwirrung zum Ausdruck kommen. Eine filmische Odyssee, deren Sinn hier nicht als vergänglicher Aspekt des Erwachsenwerdens abgetan wird. Es gibt kein Rezept dagegen und keine Patentlösung - auch nicht die in so vielen Filmen scheinbar allmächtige Kraft der Liebe.

Mike Mills gelang ein ambitionierter Film, der auch auf technischer Ebene verstört: Durch die schnittarme Inszenierung, die wortkargen Dialoge und die hymnischen Soundtrack-Passagen, die sich immer wieder atmosphärisch über die Bilder legen und eine leise Melancholie allgegenwärtig werden lassen. Thumbsucker ist ein deprimierender, großartig gespielter Film, der - eigenartig in vielen Aspekten - eingängig genug bleibt, um nicht als schräger Mist abgetan zu werden.

Christian vogel” Simon