Autor und Regisseur Paul Schrader (Taxi Driver) hat die letzten Jahre nur wenig auf die Beine gestellt. Besonders sein letztes Projekt, Excorcist: The Beginning, endete in einem Debakel: Warner Bros. befand seine Fassung für “unvermarktbar” und engagierte schließlich Renny Harlin, den Film actionlastiger zu machen und einen Großteil der Szenen neu zu drehen. Harlins Fassung kam in die Kinos, Schraders Version erschien ein Jahr später unter dem Titel Dominion auf Dvd. Das war vor zwei Jahren. Nun ist Schrader zurück und beweist mit The Walker auf gänzlich andere Weise, dass immer noch mit ihm zu rechnen ist.
Carter Page Iii. (Woody Harrelson) ist ein so genannter “walker” (groß?), ein Ausführer älterer Damen, die Gesellschaft beim Canasta oder sonstigen Events benötigen. Er versteht sich ausgezeichnet auf Klatsch und Tratsch und ist bestens informiert, was die elitären Washingtoner Kreise angeht, in denen er sich bewegt. Auch ist er ein Dandy, bestens gekleidet, stets gewandt in Stil und Wortwahl, und verliert niemals die Fassung. Doch im Gegensatz zum klassischen Dandy kommt Carter aus gehobenen Verhältnissen, einer wohlhabenden, traditionsreichen Familie aus Virginia. Als eine langjährige Freundin, Lynn (Kristin Scott Thomas), jedoch in einen Mordfall verwickelt wird und Carter darüber mehr weiß, als ihm lieb ist, wird er vor folgenschwere Fragen gestellt: Beschützt er Lynn und ihren Ruf oder rettet er seine eigene Haut? Denn je weiter er in dem Mordfall forscht, desto mehr gerät er selbst in die Bredouille.
The Walker ist ein auf viele Weisen bemerkenswerter Film, allem voran besticht jedoch Paul Schraders Drehbuch. Er entwarf eine Geschichte voller gelackter Oberflächen, die nach und nach nicht nur Kratzer erhalten, sondern schließlich vollends dekonstruiert werden: Sowohl die elitäre Gesellschaft Washingtons, als auch die Welt der Macht und der Politik und schließlich die von Carters perfekter Familie. Protagonist Carter, beeindruckend gespielt von Woody Harrelson (da würd ich entweder den Namen oben aus dem Inhalt nehmen, oder hier umdrehen, “von Harrelson beeindruckend gespielt,”), ist hierbei der Dreh- und Angelpunkt. Eine zwiegespaltene Figur, die tagsüber das oberflächliche Bild des schwulen Dandy und Lebemann wahrt, doch nachts eine zweite Identität auslebt, in Jeans und mit seinem festen Freund Emek (Moritz Bleibtreu). Und hier zeigt sich Schraders Klasse als Regisseur: Denn dank seiner subtilen Art, die Geschichte aufzubauen, die Figuren auszuarbeiten und seine Schauspieler zu führen, ist The Walker eine wahre Freude. Es gelingt Schrader, eine spannende Krimi-Story zu erzählen - und das ohne diese überzustrapazieren - und gleichzeitig, eine interessante Charakterstudie zu filmen. Ihm gelang der Spagat, an dem Tony Gilroy mit Michael Clayton scheiterte (Der Satz ist irgendwie zu cool, um den hier so mittendrin untergehen zu lassen. Würd ich komplett rausnehmen und (mit “Paul Schrader” statt “Ihm”) damit das Fazit einleiten). Wichtige Faktoren sind hier vor allem Schraders unprätentiöse Inszenierung, die Beschränkung der Perspektive auf die des Protagonisten und die Kompaktheit der Geschichte insgesamt. The Walker bemüht sich nicht um epische Breite, doch das Gesamtbild stimmt, weil Story, Dramaturgie und (die) Figuren funktionieren.
Die Schauspieler tun ihr Übriges: Woody Harrelson trägt den Film mit einer derartigen Leichtigkeit, dass es schon fast überrascht. Er bringt Schraders Dialoge auf den Punkt, hat sichtbare (nur n Vorschlag) Freude an seiner Rolle als Unterhalter älterer Damen, und bringt obendrein genügend schauspielerisches Können mit, die innere Zerrissenheit Carters darzustellen und seinen Kampf um die verschiedenen Identitäten. Ergänzt wird Harrelson von Hollywood-Hochkarätern wie Lily Tomlin, Ned Beatty und Lauren Bacall, die ihre Rollen zwar ohne weiteres im Schlaf hätten spielen können, doch dies erfreulicherweise nicht taten. Besonders hervorzuheben sind aber in jedem Fall Kristin Scott Thomas und Moritz Bleibtreu, die ihre Rollen perfekt ausfüllen. Gerade Bleibtreu, der zuletzt in Hans Weingartners Free Rainer so sträflich unterfordert wurde, schafft es, die private, nicht öffentliche Seite Carters auszuleuchten, was aus der Geschichte eine wunderbar runde Angelegenheit macht.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Paul Schrader mit The Walker ein unterhaltsamer, kurzweiliger und hintersinniger Film gelang. Fast nebenher werden gesellschaftliche und politische Verhältnisse entlarvt, indem sämtliche Oberflächen geschickt demontiert werden. Und dank des großartigen Drehbuchs und der pointierten Dialoge funktioniert The Walker gleichermaßen als Krimi wie als Charakterstudie.
Eine Freude!
Christian Simon