Originaltitel: The Visitor
USA, 2008
Kinostart: 14.02.2010
Tom McCarthy, vor allem als Nebendarsteller in Filmen von Meet the Parents bis In meinem Himmel bekannt, überraschte 2003 Publikum und Kritiker mit dem komödiantischen Drama The Station Agent. McCarthys Erstlingswerk war nicht nur gefühlvoll und souverän in Szene gesetzt, sondern verschaffte auch Peter Dinklage eine überfällige Hauptrolle.
Vier Jahre später drehte er seinen zweiten Film, dieses Mal mit Richard Jenkins, der ebenfalls viel zu lange ein Dasein als ewiger Nebendarsteller gefristet hatte. Mit fast drei Jahren Verspätung kommt Ein Sommer in New York - The Visitor endlich auch in die deutschen Kinos.
The Visitor erzählt die Geschichte von Walter Vale, einem verwitweten Collegeprofessor in Conneticut, der sein Leben an sich vorbei ziehen lässt. Er lehrt einen Kurs, der sich jedes Jahr aufs gleiche wiederholt, setzt etwas widerwillig seinen Namen unter ein Buch, das er nicht geschrieben hat, und nimmt Klavierstunden, die nicht fruchten.
Als er für eine Konferenz seine Wohnung in New York aufsucht, wird er von zwei Fremden überrascht, die die Wohnung von einem Kleingauner gemietet haben. Entgegen seinem ersten, verständlichen Impuls lässt er den Syrer Tarek (Haaz Sleiman) und dessen senegalesische Freundin Zainab (Danai Gurira) weiter bei sich wohnen und freundet sich langsam mit ihnen an. Tarek bringt ihm das Trommeln bei, und nach und nach lernt Walter, das Leben zumindest für kurze Momente zu genießen. Als Tarek bei einer routinemäßigen Untersuchung in der U-Bahn angehalten wird und die Polizei entdeckt, dass er keine Aufenthaltsgenehmigung hat, wird er ins Auslieferungslager gesteckt. An dieser Stelle verliert der Film seine relative Leichtfüßigkeit und schwenkt vom charakterlichen in ein politisches Drama um, das ohne die Klischees gängiger Hollywood-Ware ausgefochten wird.
Jenkins, der für einen Oscar nominiert wurde, spielt Walter minimalistisch, als Mann, dessen Emotionen unter einer festen Kruste aus Einsamkeit und betäubender Routine begraben liegen. Dabei zuzusehen, wie er langsam auftaut, ohne Pathos, ohne aufspielende Geigen, ohne große Reden, ist eine Freude.
The Visitor ist eine feinfühlige Charakterstudie, die vor allem von natürlichen Darstellern und einer zurückhaltenden Inszenierung lebt. “Weniger Politik, mehr Musik!” möchte man rufen, denn auf den ersten Blick ist es schade, wie dieser lebensbejahende Film über eine Freundschaft, die von Musik geformt wird, zu einem Drama über unmenschliche Bürokratie mutiert.
Doch The Visitor erzählt im Kern weder von Musik noch von Politik. Es ist die Geschichte eines Mannes, der seine Vergangenheit, die er wie einen Anker - oder eher einen Klavierflügel - hinter sich her geschleift hat, zurück lässt und sich für die Zukunft öffnet, für die Welt, für das Leben.
Felix “Flex” Dencker