USA, 2008
Kinostart: 29.05.2008

Der Skandal von Abu Ghuraib ging 2004 um die ganze Welt. Soldaten der amerikanischen Armee hatten in einem ehemaligen Folterkeller Saddam Husseins ganze Festplatten voller Fotos aufgenommen, auf denen zu sehen ist, wie sie irakische Gefangene quälen und demütigen. Die Leiterin des Gefängnisses musste zurücktreten, sieben Soldaten wurden zu Haftstrafen verurteilt.
Der Dokumentarfilm Standard Operating Procedure, für den Regisseur Errol Morris auf der Berlinale den silbernen Bären der Jury in Empfang nehmen durfte, setzt sich mit dem Skandal auseinander. Zahlreiche Beteiligte wie Ermittler, aber auch die meisten der Beschuldigten kommen in ausführlichen Interviews zu Wort und erzählen nach und nach die Geschichte um die berühmten Bilder. Dabei leistet der Film an sich einen wertvollen Beitrag, indem er viele Fragen stellt, die über den vordergründigen Medienrummel von vor drei Jahren hinausgehen. Das Zentrum des Films ist nämlich die titelgebende Standard Operating Procedure” - also die Richtlinie, die vorgibt, wie weit Ermittler beim Verhör von Verdächtigen gehen dürfen. Die Soldaten von Abu Ghuraib waren dazu angehalten, die Gefangen zu zermürben und zu demütigen, dies war die sogenannte Sop, wie sie auch in Guantanamo Anwendung findet. Angeklagt wurden die Wachsoldaten von Abu Ghuraib aber wegen Missbrauch, der besonders dann klar zu Tage tritt, wenn eine sexuelle Konnotation wie bei der berühmten Pyramide nackter Menschen vorhanden ist. Hätten sie sich darauf beschränkt, wahllos Menschen zusammenzupferchen, ihnen den Schlaf zu entziehen und sie in Todesangst zu versetzen und hätten sie vor allem das Fotoverbot beachtet, so wären sie heute wohl hochdekoriert.

Das Verfahren ist also der eigentliche Skandal, sowie die Tatsache, dass nur die kleinen Fische abgestraft wurden. Ins Gefängnis kam die Frau, die sich grinsend vor einer Leiche fotographieren ließ, und nicht die Geheimdienstler, die den Mann kurz davor zu Tode geprügelt hatten, denn davon gibt es keine Fotos.

So gibt Standard Operating Procedure das Lehrstück von der moralischen Erosion in einem menschenfeindlichen System, das Abu Ghuraib darstellt, gelungen wieder. Die Interviewten sind ausnahmslos sympathische Erscheinungen, die ihre Rolle im großen Ganzen gut reflektieren können und sehr wendig darin sind, die Schuld von sich abzuwälzen. Der von ihnen dämonisierte Charles Graner hätte sicherlich auch noch einiges zu erzählen, wenn er nicht noch im Gefängnis säße. Auch der Zuschauer lässt sich schnell einwickeln, wenn einer der jungen Männer sehr witzig und unterhaltsam erläutert, warum Countrymusik besser als Instrument zum Schlafentzug geeignet ist als Heavy Metal. Worüber man da gerade gelacht hat, wird einem erst einen Augenblick später klar.
Leider sind solche Momente in den 118 Minuten Laufzeit spärlich gesät. Das an sich exzellente Material ist unvorteilhaft arrangiert, so dass die Pointe nahezu wirkungslos verpufft, nämlich dass der eigentliche Skandal jene Sop und die rein juristische Linie zum Missbrauch sind. Keine gute Entscheidung war es ebenfalls, den im Vorspann an prominenter Stelle geführten Danny Elfman einen Soundtrack beisteuern zu lassen, denn seine Variation des Spider-Man-Themas wirkt in der Dokumentation wie ein Fremdkörper. Auch die Spielszenen, die eigentlich die Imagination der Zuschauer beflügeln sollen, sind von einer bemerkenswerten Einfalt. Computeranimationen von explodierenden Hubschraubern sollten doch in ihrem Naturpark, den Filmen von Michael Bay, bleiben, und Laienschauspieler in den Darstellungen des Michael-Jackson-Prozesses. Insgesamt hätte man sich also in der Postproduktion ebenjene dokumentarische Akribie gewünscht, mit der das Material zuvor gesammelt wurde. So aber verkauft sich ein an sich richtiger und wichtiger Film etwas unter Wert.

Sven Ole Leisure Lorence’ Lorenzen