High-School-Komödien sind Trostpflaster für all jene, die ihre Schulzeit als persönliche Hölle erlebt haben oder immer noch als solche erleben. Wer in seiner Klasse gehänselt oder sogar verprügelt wird, hat laut fast jeder Pennäler-Posse beste Aussichten auf ein erfülltes Erwachsenendasein — in der Regel als erfolgreicher Künstler.
Regisseur Jared Hess gehörte vermutlich auch zu solchen gepeinigten Sonderlingen. Stellvertretend für die Außenseiter, deren Leben sich nach Ende der Schule nicht wundersam gebessert hat, liefert Hess mit seinem Debüt Napoleon Dynamite eine eigenwillige Aufarbeitung schwerer Jugend. Auf dem Sundance Festival 2004 avancierte der Film zum Kultstreifen — man denke an die beliebten “Vote for Pedro”-T-Shirts. Genau drei Monate vor Kinostart von Jared Hess´ Ringer-Farce Nacho Libre schlurft nun der bebrillte Lockenkopf Napoleon auch in die deutschen Lichtspielhäuser. “Friggin’ awesome,” würde dieser König der Nerds wohl dazu sagen.
Napoleon Dynamite ist in einem ausgetretenen Genre-Terrain angesiedelt, wo keine aufregenderen Ereignisse passieren als Tanzveranstaltungen oder die Wahl zum Schulsprecher. Ihre Heimat hat die Indie-Komödie aber auch in der Kleinstadt Preston, Idaho. Weltbewegendes spielt sich hier weder hinter noch vor den Schultoren ab. Zum Amüsement hält die unbeschönigte Us-Provinz trotzdem genug bereit, denn Einwohner wie der zwischenmenschlich unbedarfte Titelheld (Jon Heder) könnten alle den abgedrehten Comics von American Splendor-Schöpfer Harvey Pekar entsprungen sein.
Napoleon mischt sich mit verunglückter Frisur, herrlich unmodischer Kleidung und kultigen Sprüchen unter die Freak-Show von Preston. Den lieben langen Tag zeichnet er Fantasiewesen, lässt sich von stärkeren Schülern verprügeln oder tut seine allgemeine Angenervtheit kund. Er lebt bei seiner Großmutter (Sandy Martin) und seinem 32-jährigen Bruder Kip (Aaron Ruell), der stundenlang mit “Babes” chattet und im Glauben lebt, ein Kampftalent zu sein.
Verlierer-Stereotypen wie auch viele andere Klischees bricht hier der Humor, der so staubtrocken ist wie die Landstraßen in Idaho.
Napoleon, sein bester Kumpel Pedro (Efren Ramirez) und ihre gemeinsame Freundin Deb (Tina Majorino) begegnen den Schlägen des Alltags mit formvollendeter Gleichgültigkeit. Sie scheinen weder glücklich noch unglücklich zu sein. Gelegentlich melden sich bei ihnen aber trotzdem Emotionen oder spontane Ideen, um ihren Alltag vielleicht doch ein wenig angenehmer zu gestalten.
Napoleons schmieriger Onkel Rico verhält sich da ganz anders: Jon Gries, Broots aus The Pretender, setzt als gescheiterter Football-Spieler seine ganze Energie dafür ein, die Zeit zurückzudrehen — wenn es sein muss mit einer Zeitmaschine.
Lauter skurrile Charaktere verfolgen in “America´s Heartland” ihre sehr menschlichen Ziele. Nur mit der Sympathie tun sie sich dabei schwer.
In Napoleons schrecklichen Brillen und seiner Kleidung, aber insbesondere der Musik beim Schultanz schimmern deutlich die 80er Jahre durch; eine Zeit, als John Hughes die unschuldigsten und besten Teenie-Komödien überhaupt drehte. Figuren wie bei Hughes, die einem sofort am Herzen liegen, kann Napoleon Dynamite nicht für sich beanspruchen. Wenn überhaupt, dann kommt erst spät Wohlwollen für den “Helden” auf.
Durch Mut zur Verschrobenheit passt nun mal nicht in das Bild des zu Unrecht verkannten Nerds, der sofort beim Publikum Mitleid hervorruft. Bei ihm stellt sich sogar ernsthaft die Frage: Würde ich mich überhaupt mit diesem anstrengenden Typen abgegeben?
Mit dem grandios lethargisch spielenden Jon Heder wurde eben keinem Schönling einfach eine Brille aufgesetzt und eine Perücke verpasst. Zur “Hässliche Entlein”-Geschichte entwickelt sich das Ganze schon, nur verwandelt sich Napoleon in keinen schönen Schwan — zumindest nicht im Sinne einer zauberhaften Runderneuerung.
Mit altbekannten Genre-Routinen wird trotzdem operiert, jedoch ohne viel Aufhebens darum zu machen. Alexander Payne hat zwar bei der Satire Election bewiesen, dass auch in verbrauchten Sujets noch Leben steckt. Napoleon Dynamite schlägt aber eher in die Kerbe des befremdlichen und zugleich wirklichkeitstreuen Welcome to the Dollhouse. Kaum so aufwühlend oder so böse wie bei Todd Solondz konzentriert sich Jared Hess´ Blick auf merkwürdige Menschen und den Schwachsinn, den sie während ihrer kleinen Schritte auf dem Weg zur Selbstfindung anstellen.
Der Film pocht dabei nicht auf die Moral, dass sich ein schwieriger Mensch radikal ändern muss, um akzeptiert und damit glücklich zu werden. Allein dadurch erreicht diese kleine Komödie einen großen Verdienst.
Markus “Marv” Grundtner