USA, 2007
Kinostart: 14.08.2008
Das stachellose Kindermädchen

Der frischgebackenen College-Absolventin Annie Braddock (Scarlett Johansson) steht eine große berufliche Zukunft bevor, zumindest wenn es nach ihrer Mutter Judy (Donna Murphy) geht. Annie verliert aber gleich bei ihrem ersten Vorstellungsgespräch in New York die Nerven und sieht die angestrebte Karriere im Finanzwesen den Bach runtergehen. Durch Zufall wird sie im Central Park für ein Kindermädchen gehalten und mit Angeboten steinreicher Berufsehefrauen überhäuft. Aus Anny wird also eine Nanny, doch schnell entpuppt sich der lukrative erste Job als echter Albtraum. Der verwöhnte Spross (Nicholas Art) der Familie X ist kaum im Zaum zu halten, die versnobte Mutter (Laura Linney) versucht verzweifelt, ihre katastrophale Ehe mit dem arbeitswütigen wie untreuen Gatten (Paul Giamatti) zu retten und die Liebe wohnt in Gestalt von Chris Evans praktisch nebenan. Chaotische Monate im Leben einer Vollzeit-Nanny folgen.

Fast genau ein Jahr nach dem Us-Kinostart schafft es die Regiearbeit von Shari Springer Berman und Robert Pulcini (American Splendor), die gemeinsam auch das Drehbuch schrieben, nun doch noch in die deutschen Kinos. Wer eine waschechte romantische Komödie nach üblichem Strickmuster erwartet hat, irrt jedoch gewaltig. Nanny Diaries tummelt sich in den verschiedensten Genres und pendelt zwischen Coming-of-Age, Drama, Romanze, Satire und Komödie hin und her. Wie der Titel schon vermuten lässt, wird der Werdegang Annys aus der Ich-Perspektive in Tagebuchform erzählt. Der Genremix funktioniert zwar beileibe nicht immer, wobei vor allem der Romanzen-Part die meiste Zeit reichlich belanglos daherkommt, durch die Konzentration auf Annys Arbeitsumfeld und die damit verbundenen tragischen sowie augenzwinkernd-humorvollen Momente, bekommt man aber im Endeffekt ein durchaus berührendes und sehenswertes Familiendrama serviert.
Die Moral hinter der Geschichte, die Verdeutlichung von elterlichen Rechten und Pflichten und das in den Vordergrund zu stellende Wohl des Kindes, wird dem Publikum am Ende zwar noch einmal überdeutlich mit einem etwas aufgesetzt wirkenden Schlußplädoyer eingetrichtert, bis zu diesem Zeitpunkt bedienen sich Springer Berman und Pulcini aber zum Glück subtilerer Methoden. So gefallen Drehbuch und Regie insbesondere wenn es um die differenzierte Charakterzeichnung von Mrs. X geht, die von Laura Linney auch noch fabelhaft gespielt wird. Überhaupt agiert das Ensemble überdurchschnittlich. Seit Scarlett Johansson nicht mehr gefühlsmäßig in jedem zweiten Film zu sehen ist, weiß man ihr natürliches Spiel erst wieder richtig zu schätzen. Der kleine Nicholas Art überzeugt als anfänglicher Satansbraten genauso wie als süßer Fratz. Chris Evans hat mit der Eindimensionalität seiner Figur zu kämpfen, mimt den Sonnyboy aber gewohnt charmant. Paul Giamatti liegt das schmierige Ekel Mr. X zwar augenscheinlich gut, er hat aber - genauso wie Alicia Keys als Annys beste Freundin Lynette - kaum Leinwandzeit, um wirklich auftrumpfen zu können. Terry Stacey sorgt darüber hinaus mit seiner verspielten Kameraarbeit zusätzlich für den einen oder anderen Hingucker.

Fazit: Nicht immer ganz rund, ein wenig zu lang, aber im positiven Sinne überraschend anders und damit unterm Strich empfehlenswert.

Michael Eminence” Reisner