Australien, 2005
Die 32-jährige Tracy (Cate Blanchett) arbeitet seit vier Jahren in einer Videothek und möchte nun endlich ihr eigenes Geschäft eröffnen. Sie hat ihre Hausaufgaben gemacht, doch als ehemalige Drogenabhängige, die zudem in Kreditkartenbetrug verwickelt war, bekommt sie nirgends den nötigen Kredit. Hugo Weaving spielt Tracys ehemaligen Schwiegervater, der ihr vor Jahren das erste Heroin gab. Jüngst ist er wieder in die Sucht gerutscht, zudem sitzt ihm sein Dealer und Teilzeit-Liebhaber im Nacken, so kümmert sie sich immer noch um ihn - sehr zum Leidwesen ihrer Mutter, die stets besorgt ist, ihre Tochter könne rückfällig werden. Als urplötzlich Tracys Ex-Freund aus ihrer Drogenzeit aus dem Ausland heimkehrt, droht ihre Welt erneut aus den Fugen zu geraten.
Little Fish ist ein Blick auf eine Gesellschaft, die es den Menschen unendlich schwer macht, sich aufzurappeln und ihr Leben in positive Bahnen zu lenken, nachdem sie erst einmal abgestürzt sind. Die Banken leihen ihr Geld nur denjenigen, die es nicht brauchen, Arbeitsplätze gehen nur an die, die schon einen haben. Manch einer wird sich damit identifizieren können, und auch auf der Leinwand ist das alles andere als neu. Es ist einmal mehr die Abkehr von den üblichen Klischees, die den Film zu etwas besonderem macht. Auf dem Papier erfüllt Little Fish zwar die Genrekonventionen, doch das Drehbuch von Jacqueline Perske konzentriert sich völlig auf die Figuren und lässt den eigentlichen Plot fast beiläufig passieren. Mit einem Minimum an Exposition zeigt der Film sieben Tage in Tracys Leben in Form einzelner Schnappschüsse und überlässt es dem Zuschauer, diese zu einem Gesamtbild zusammen zu fügen.
Den eigentlich schwer zu mögenden Charakteren Herz und Seele zu verleihen, ist nicht nur ein Verdienst von Rowan Woods’ ruhiger, gefühlvoller Regie, sondern natürlich auch der Darsteller. Cate Blanchett, die meist als Chamäleon auf sich aufmerksam macht, spielt hier eine eher seltene Rolle: Eine Frau ihres eigenen Alters, die mit ihrem eigenen, australischen Akzent spricht. Tracey besitzt eine immense Stärke, doch ihre Verletzlichkeit liegt nie tiefer als eine handfeste Enttäuschung unter der Oberfläche. Dass die Figur stets natürlich bleibt, ohne in die Nähe einer Karikatur zu rutschen, verdankt der Film der vielleicht nuanciertesten Darbietung von Blanchetts Karriere.
Der Neuseeländer Martin Henderson, in Hollywoodfilmen gelegentlich als Standardschönling zu sehen, gibt Tracys Bruder die selbe Verletzlichkeit, ohne jedoch ihre Charakterstärke zu besitzen. Sein unaufdringliches, entwaffnendes Spiel ist eine der Überraschungen des Films. Den Gegenpol zu Ray bietet die Mutter, gespielt von Noni Hazlehurst. Sie erscheint oft überfürsorglich, macht jedoch nie den Schmerz vergessen, der sie so werden ließ. Sam Neill schüttelt als Brad “The Jockey” Thompson schiere Böswilligkeit aus dem Handgelenk, wird jedoch von einem kaum wiederzuerkennenden Hugo Weaving an die Wand gespielt. Hat man Weaving und Blanchett erstmal in diesen kaputten Rollen erlebt, lässt sich ein gewisses Grinsen nicht verkneifen, wenn man sie wieder als zarte Ätherwesen in der Herr-der-Ringe-Trilogie sieht.
Rowan Woods ist mit Little Fish erneut ein starkes Stück Kino gelungen. Er zeigt die rauhe Wirklichkeit des von Drogen bestimmten Lebens, ohne mit dem Zeigefinger zu wackeln und scheut sich auch nicht, mit meditativen Einschüben gegenzusteuern. Danny Ruhlmanns meisterhaft geführte Kamera erzeugt im Zusammenspiel mit Nathan Larsons Musik fast schon surreale Momente, die die harte Realität immer wieder kontrastieren.
Sicherlich leichter zu verdauen als Woods’ unnachgiebiger Erstling The Boys, beschäftigt auch Little Fish seinen Zuschauer noch lange, nachdem der Abspann gelaufen ist.
Felix “Flex” Dencker