Obwohl auf Iwo Jima wenig mehr zu finden ist als erkaltete Vulkanasche, tobte um die Schwefelinsel eine der erbittertsten Schlachten des zweiten Weltrkrieges. Fast 7000 amerikanische Soldaten und über 20.000 japanische Verteidiger starben. Die horrenden Verluste waren das Resultat des tragischen Zusammenpralls zweier völlig unterschiedlicher Kulturen: Auf japanischer Seite war an einen Sieg gegen die weit überlegenen Landungstruppen nicht zu denken. Dennoch zögerten die Verteidiger den Erfolg der auf sechs Tage angelegten Us-Invasion über einen Monat lang hinaus. Die Insel, welche für die Amerikaner erst durch Joe Rosenthals wirkungsmächtiges Foto der Flaggenhissung zu geheiligtem Boden transformiert wurde, war für die Japaner schon seit jeher unveräußerliche Heimaterde.
Clint Eastwoods Doppelproduktion Flags of Our Fathers / Letters from Iwo Jima konzentriert sich auf die Schicksale einiger weniger Menschen, die an jener Schlacht teilnahmen. Beide Filme erzählen voneinander unabhängige Geschichten, sind aber miteinander verzahnt. So verwendet Eastwood in Letters from Iwo Jima teilweise Bildmaterial aus dem amerikanischen Gegenstück - durch die japanische Perspektive ergibt sich aber aus den identischen Bildern eine andere Bedeutung.
Flags of Our Fathers handelt von den Us-Soldaten auf Rosenthals Foto und der Kluft zwischen persönlichen Erfahrungen und kollektivem Mythos. Letters from Iwo Jima basiert auf Briefen der japanischen Verteidiger, die Jahrzehnte nach Kriegsende entdeckt wurden. Das Drehbuch verdichtet diese Aufzeichnungen zur Geschichte von fünf Hauptpersonen, die sich in ihren Charakterzügen und Motivationen stark voneinander unterscheiden.
General Tadamichi Kuribayashi (Ken Watanabe) - der in den Vereinigten Staaten studierte - weiß um die industrielle Überlegenheit der amerikanischen Kriegsmaschinerie. Dennoch hält er - wie seine Samurai-Vorfahren - dem Kaiser seine Treue. Er plant, die Insel bis zum letzten Mann zu verteidigen. Seine unkonventionelle Strategie stößt bei seinen Offizieren auf Widerstand. Ohne auf die Unterstützung der kaiserlichen Marine hoffen zu können, setzt er auf einen Guerilla-Kampf, der von Höhlen und Tunnels aus geführt wird.
Für die Rolle des Generals ist Ken Watanabe eine Idealbesetzung. Und das nicht nur, weil Watanabe schon in Last Samurai einen Krieger verkörperte, dessen Form des Bushido nicht zur bloßen Selbstopferung pervertiert ist. Watanabe läßt den General als einen Menschen erscheinen, der sich mitfühlend um seine Familie und seine Soldaten sorgt, und trotzdem mit unbarmherziger Härte einen aussichtslosen Kampf anführt.
Der weichherzige Obergefreite Saigo (Kazunari Ninomiya) ist eigentlich Bäcker - das Kriegshandwerk liegt ihm weniger. Er wünscht sich nur, lebend zu seiner Frau Hanako (Nae) zurückzukehren, um seine neu geborene Tochter sehen zu können. Ninomiya, der als Mitglied der Popgruppe Arashi bekannt wurde, dürfte nach seiner Rolle in Eastwoods Werk nun häufiger in internationalen Produktionen zu sehen sein. Durch ihn erhält der Film besonders zu Anfang eine humorvolle Note. Gerade an Saigos Person wird aber auch deutlich, in welch verzweifelter Lage sich die japanischen Zwangsrekruten befanden: Flucht war für die vom Meer umschlossenen Verteidiger unmöglich, Kapitulationsversuche galten als unehrenhaft und wurden mit dem Tode bestraft. Während die amerikanischen Angreifer noch eine gewisse Hoffnung darauf haben konnten, die Schlacht zu überleben, wussten die Japaner, dass sie die Insel wahrscheinlich nicht mehr lebend verlassen würden.
Der aristokratische Oberstleutnant Takeichi Nishi (Tsuyoshi Ihara) ist - wie der General - ein Kenner der Vereinigten Staaten. 1932 gewann er als Reiter eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Los Angeles. Anders als die Rekruten konnte Baron Nishi sein aufgeklärtes Weltbild bewahren, was jedoch nichts daran ändert, dass er nun gegen seine amerikanischen Freunde kämpft.
Der Stabsgefreite Shimizu (Ryo Kase) ist ein ehemaliger Angehöriger der Kempeitai, der japanischen Militärpolizei. Von seinen Kameraden wird er für einen Spitzel gehalten und gemieden. Letters from Iwo Jima berichtet Shimizus Schicksal - eben wie ein Bündel gefundener Briefe - nur in episodischen Andeutungen. Das gilt auch für das, was der Zuschauer über den strengen Berufsoffizier Leutnant Ito (Shidou Nakamura) erfährt, der sich eher selbst das Leben nehmen würde, als den Rückzug anzutreten. Filmisch werden diese Bruchstücke jedoch geschickt miteinander verknüpft, wenn die einzelnen Charaktere aufeinandertreffen.
Mit oppulenten Schlachtenszenen wie bei Der Soldat James Ryan wartet Letters from Iwo Jima nicht auf. Die meisten Einstellungen, die größere Kämpfe zeigen, wurden dem Schwesterfilm entnommen. So sieht man - wie bei Flags of Our Fathers - unerbittlich feuernde Mg-Nester der Japaner und die auf breiter Front vorrückenden Us-Truppen. Doch dann wechselt der Film in die klaustrophobische Perspektive der Verteidiger, deren Stellungen mit Flammenwerfern ausgeräuchert werden. Besonders drastische Gewaltakte - etwa wie ein Soldat mit Bajonetten massakriert wird - werden verfremdet dargestellt. Der surreale Eindruck lässt das sich mehr und mehr verselbständigende Geschehen in den Höhlen der Verteidiger nur noch gespenstischer wirken.
Letters from Iwo Jima ist deutlich geradliniger als sein Schwesterfilm. Während Flags of Our Fathers durch die exzessiven Vor- und Rückblenden etwas fragmentiert wirkt, verliert sich bei Letters from Iwo Jima das Zeitgefühl. Der Eindruck des Eingeschlossenseins ist ständig präsent, so dass es keine Bedeutung mehr hat, ob zwischen den einzelnen Szenen auf und unter der Erde Iwo Jimas eine Stunde, ein Tag oder eine Woche vergangen ist. Eastwood legt keinen Wert auf eine dokumentarische Chronologie der Schlacht, der Fokus bleibt auf den fünf Hauptcharakteren und ihrem Handeln in einer ausweglosen Lage.
Ob es Eastwood damit tatsächlich gelungen ist, so etwas wie eine “japanische Sicht” auf die Ereignisse um Iwo Jima abzubilden, wird wohl ähnlich umstritten bleiben wie Rosenthals Foto der Flaggenhissung. Bereits für den Versuch um eine Darstellung aus amerikanischer und japanischer Perspektive verdient Eastwood jedoch Anerkennung. Es gehört auch eine Portion Selbstvertrauen dazu, den Film ohne Synchronisation in die Kinos zu bringen. Das japanische Ensemble legt unter Eastwoods Leitung so viel darstellerische Kraft in den Film, dass Letters from Iwo Jima auch dann verständlich bleibt, wenn man nicht an den deutschen Untertiteln klebt.
Weil beide Teile des Doppel-Filmprojekts mit ihren sehr unterschiedlichen Episoden nur auf einer abstrakten Ebene verbunden sind, mag man das Endprodukt als ungeschliffen und sperrig empfinden.Gerade damit provozieren die Filme aber ein Nachdenken über Geschichte, die ja per se sperrig ist.
Heiko “Tico” Titz