Oma reitet den Beutel

Schnörkelloser kann eine Exposition kaum sein:
Lady Laura Henderson (Judy Dench) steht am Grab ihres Mannes und nimmt gefasst Beileidsbekundungen der Trauergemeinschaft entgegen. Sie setzt sich von ihren Gästen ab, um ihrem Schmerz freien Lauf zu lassen, kehrt zurück und berät sich mit ihrer Freundin Lady Conway, wie sie als 69-jährige Witwe mit nichts als Geld und Zeit den Rest ihres Lebens verbringen soll.

Wohltätigkeitskomitees und altersgemäße Hobbys (Sticken) werden kurz angetestet und dann verworfen. Letztendlich zieht ein leerstehendes Kino in Soho die Aufmerksamkeit der lebenslustigen Adelsdame auf sich. Harter Schnitt: Lady Henderson eröffnet ein Theater.
Und schon ist der Zuschauer mitten in einem farbenprächtigen Sittengemälde des Londons der 30er und 40er Jahre. Denn der neuste Streich der britischen Allzweckwaffe Stephen Frears (Gefährliche Liebschaften,High Fidelity) basiert auf der wahren Geschichte des Windmill-Theaters in London, dessen Besitzerin und ihr geschäftstüchtiger Manager Vivian van Damm einen Hauch von Moulin Rouge ins prüde England brachten.
Das sich in inniger Hassliebe verbundene Paar wagt den Tabubruch: Nackte Körper auf der Bühne. Dafür ist Lady Henderson die richtige Frau am richtigen Ort, schließlich verfügt die Aristokratin über beste Beziehung zu den höheren Kreisen. So arbeiten sie und der Zensor Londons friedlich bei einem Dinner einen Kompromiss aus. Wenn nackte Körper im Museum stehen dürfen, weil sie als Aktgemälde und Statuen Kunst sind, sind sie auch auf der Bühne Kunst, solange sie unbeweglich sind.
Und so inszeniert van Damm eine herkömmliche Revue mit bekleideten Tänzerinnen und Tänzern und Songs seines Starsängers Berti (“Pop Idol” Will Young), deren eigentliche Sensation in sogenannten Tableaux vivants besteht, unbekleideten, gemäldehaft arangierten Frauen. Bis in die 60er Jahre konnte sich das reale Windmill mit diesem Konzept halten; zahlreiche bekannte Schauspieler begannen hier ihre Karriere, z.B. Peter Sellers. Im Film wird der Aufstieg des Theaters episodisch und kunterbunt vorgeführt, untermalt von den sehr stimmungsvollen Songs des amerikanischen Komponisten George Fenton, die Vertonungen der Original-Windmill-Songs darstellen.
So reiht sich eine unterhaltsame Szene an die nächste, bis -schwupps!- der zweite Weltkrieg ausbricht und aus dem Kampf gegen britische Zugeknöpftheit ein Widerstand gegen Hitlers Bombenteppiche wird.
Denn unter dem Motto We never closed wird die Show, deren Publikum nunmehr hauptsächlich aus Soldaten besteht, auch im Falle eines Luftangriffs fortgesetzt.

Was den geneigten Leser dieser Kritik hauptsächlich dazu bewegen sollte, sich dieses Werk zu Gemüte zu führen, ist die Akribie, die Regisseur Frears und das Produktionsteam den Kostümen, dem Make-Up, den Proportionen der Tänzer, den Revue-Stücken widmen, und so ein authentisches Bild der damaligen Theater- und Lebenskultur zeichnen.
Des weiteren glänzen Dame Judy Dench als die perfekte Besetzung einer der den Konventionen ihrer Zeit auf der Nase herumtanzenden Adeligen und nicht minder gut Anthony Hoskins als der bodenständige Widerpart.
Lobend zu erwähnen sind ebenfalls Will Young, der neben dem dynamischen Duo zu bestehen und sich habituell wie stimmlich erstaunlich in die Epoche einzufügen weiß, und Kelly Reilly, die in ihrer kurzen Leinwandzeit knapp der Gefahr entrinnt, als Maureen, Star der Show, auf ihre britischen Nippel reduziert zu werden.
Dass leider keine bedenkenlose Empfehlung ausgesprochen werden kann, liegt zum einen an Martin Shermans etwas schwunglosen Drehbuch sowie der Tatsache, dass der Film fast ausschließlich auf der makellosen Oberfläche der in ihm gezeigten Revuen verbleibt.
103 kurzweilige Minuten aber bietet Mrs. Henderson präsentiert in jedem Fall.

Sven Ole Leisure Lorence” Lorenzen