Junebug
USA, 2005
Kinostart: 01.03.2007
“I love all the dog heads. And computers. And all the scrotums.”
Was macht einen Independent-Film aus? Traditionell liegt die Antwort im Begriff “Independent”, also der Unabhängigkeit, vor allem der finanziellen, von den großen Hollywood-Studios. In Zeiten von Warner Independent, Fox Searchlight und Sony Classics ist die Grenze dahingehend jedoch längst verwischt. Kaum ein selbsternannter Fan des Independent-Kinos wird einsehen, dass es sich bei der Star-Wars-Prequel-Trilogie, die George Lucas mit eigenem Geld produzierte, um Independent-Filme handelt, während z.B. der von 20th Century Fox finanzierte Sideways allgemein als eine der besten Independent-Produktionen der letzten Jahre gehandelt wird.
Somit beschreibt der Begriff im allgemeinen Sprachgebrauch zunehmend Filme mit niedrigen Budgets oder wenigstens unkonventionellen Erzählweisen oder -strukturen. Ein Beispiel ist Laurel Canyon, der die simple Geschichte eines Sohnes erzählte, der seine Mutter besucht um ihr seine Verlobte vorzustellen.
Viel passierte nicht, und das einzige wirklich ungewöhnliche Element war das unbefriedigend offene Ende, das sich ohne Grund weigerte, dem Zuschauer eine Antwort auf offene Fragen zu liefern.
Alessandro Nivola, der in Laurel Canyon mit einer Nebenrolle abgespeist wurde, kehrt nun in Junebug heim, um seiner Familie seine Verlobte vorzustellen. Die bodenständige Familie, die durch die Schwangerschaft von Nivolas Schwägerin bereits in heller Aufruhr ist, reagiert auf die kosmopolitische Embeth Davidtz mit mehr als gemischten Gefühlen.
Um es kurz zu machen: Junebug macht all das richtig, was Laurel Canyon falsch gemacht hat. Auch hier wird kaum etwas aufgelöst, aber darum geht es auch gar nicht. Es geht nicht um Menschen, die ihre Probleme im Laufe einiger gemeinsamer Tage lösen können, sondern um solche die lernen, damit umzugehen.
“I hope it’s a big baby, I wanna lose like 40 pounds.”
Drehbuchautor Angus MacLachlan und Regisseur Phil Morrison widerstanden der Versuchung, die üblichen Klischees von hochnäsigen Großstädtern heraufzubeschwören, die mit naivem Landvolk kollidieren. Es gibt keine dramatischen Affären, keine düsteren Familiengeheimnisse, keine tödlichen Krankheiten. Hier treffen einfach grundverschiedene, gründlich ausgearbeitete Charaktere aufeinander. Grundverschiedene, gründlich ausgearbeitete Paare, um genau zu sein. Dreh- und Angelpunkt sind George und Madeleine, gespielt von Nivola und Davidtz. Davidtz ist vor allem in der Gegend, um für ihre Galerie einen neu entdeckten Maler zu rekrutieren. Nivola bringt eine vermutlich natürliche Zurückhaltung beim Besuch seiner Familie mit, denn auch wenn er sich freut, alle wiederzusehen, vergisst er zu keiner Minute, weshalb er Jahre zuvor ausgezogen ist. Sein Bruder, O.C.-Star Benjamin McKenzie, verbringt die meiste Zeit damit, mürrisch zu sein und seine zuckersüße, hochschwangere Frau so wenig wie möglich zu beachten. Amy Adams bildet mit ihrer zu Recht oscarnominierten Vorstellung das absolute Spiegelbild dazu: Keine ruhige Sekunde gönnt sie sich oder ihrer Umwelt. Immer optimistisch, ständig neugierig und voller Lebensfreude zaubert sie unweigerlich ein Lächeln auf die Lippen der Zuschauer, sobald sie ins Bild kommt. Ihr Zusammenspiel mit der vornehm zurückhaltenden Davidtz macht den Film bereits sehenswert - beide sind völlig fasziniert voneinander, obwohl keine wirklich versteht, was die andere erzählt. Nicht sonderlich angetan von der Außenseiterin ist Mutter Celia Weston, die sich wenig Mühe gibt, ihre Skepsis zu verschleiern. Ihr Mann Eugene, auf den Punkt gespielt von Scott Wilson, verhält sich freundlicher, allerdings weiß auch er nicht so recht, wie er mit den seltsamen Gepflogenheiten der Großstädterin umgehen soll.
Junebug ist ein Film, der wenig erzählt und doch eine Menge erreicht. Für diejenigen, die schnelle Schnitte brauchen, um im Kino wach zu bleiben, stellt er eine vermutlich unlösbare Geduldsprobe dar. Für alle anderen bietet er ein kleines Stückchen Wahrheit - über Familie, über Liebe, über versteckten Frust und die Unerfüllbarkeit von Erwartungen. Und über die Freiheit, die einem jeden von uns dennoch bleibt.
Felix “Flex” Dencker