USA, 2008
Kinostart: 19.06.2008
USA - Mexiko: 0:1
Glaubt man Albert Einstein, ist Zeit relativ. Um das nachzuvollziehen, muss man keine Reise mit Lichtgeschwindigkeit unternehmen, es reicht, einen Topf Milch aufzusetzen. Dass man die Zeit komplett zum Stillstand bringen kann, demonstriert der französische Regisseur Erick Zonca mit seinem Us-Debut Julia. Tilda Swinton spielt das titelgebende Wrack, eine Frau Anfang 40, die kein Glas Alkohol, keinen One Night Stand auslässt und gerade ihren Job verloren hat. Ihr einzig verbliebener Freund, Mitch (Saul Rubinek), verspricht ihr zu helfen, sofern sie zu Treffen der anonymen Alkoholiker geht.
Dort lernt sie Elena kennen, die eine brillante Idee mit ihr teilt. Julia soll ihr helfen, ihren Sohn Tom zu entführen, der bei seinem Großvater lebt. 50.000 Dollar als Entlohnung klingen ganz gut, doch Julia hat einen noch besseren Einfall. Sie entführt Tom auf eigene Faust, um eine noch größere Summe von Elena zu erpressen, die angeblich selbst reich ist. Schnell stellt sich heraus, dass Elena keinen Cent besitzt, und Julia flüchtet unabsichtlich bis nach Mexiko.
Dort geht es dann wirklich bergab, in jeder Hinsicht. Es ist leicht verständlich, warum eine Schauspielerin wie Swinton diese Rolle annahm, denn hier kann sie sich austoben wie noch nie. Jede Menge Stress, der beliebte Mut zur Hässlichkeit und das völlige Fehlen von Rationalität - all das, was man in einem besseren Film “Oscar Bait” nennen würde. Als Zuschauer schwankt man nach anfänglicher Anerkennung für die darstellerischen Leistungen jedoch bald zwischen Ärger über die unerbittliche Dummheit sämtlicher Figuren und der quälenden Langeweile des elend zähen Stoffes. Dass die besoffene Julia auf die Idee der verrückten Elena anspringt, ist noch einer der glaubwürdigeren Momente des Films. Von da an lädt Zonca zu einem fröhlichen Ratespiel ein, das man am besten in großer Runde spielt: In jeder Situation suchen alle Teilnehmer nach der blödestmöglichen Entscheidung, die die Hauptfigur treffen könnte, und man kann sicher sein, dass die Idee des Gewinners auf der Leinwand umgesetzt wird.
Um die anderen Kinobesucher, soweit vorhanden, nicht zu stören, kann das Spiel auch mit schriftlicher Abstimmung gespielt werden, denn Zeit ist wahrlich genug. Mit seinen 138 Minuten ist der Film viel zu lang geraten, was nicht einmal an der verzwickten Handlung liegt - jede einzelne Szene schreit danach, von den Metzgerhänden eines Harvey Weinstein in die Mangel genommen zu werden. Selbst das würde jedoch nichts helfen, sobald es über die Grenze geht. Hier mutiert das Drama auf einmal zu einem Actionthriller, ohne dabei jedoch spannend zu werden. Stattdessen findet Julia in den überzogensten Klischee-Mexikanern südlich des Rio Grande endlich Gegner, die es mit ihrer Dummheit aufnehmen können.
Dass der Film Julia, die den kleinen Tom mehrfach fesselt und knebelt, in ihren Kofferraum wirft, an ein Heizungsrohr bindet und in einer Wüste alleine lässt, mit diesem letzten Akt als relativ akzeptable Alternative hinstellt, ist nur einer von vielen Gründen, dem Eintrittsgeld bittere Tränen nachzuweinen.
Felix “Flex” Dencker