Kinostart: 26.04.2007
David Lynch mag Holz. David Lynch mag flackerndes Licht. David Lynch mag Frauen in Not. Bislang musste David Lynch aber immer Kompromisse eingehen, wenn er einen Film über seine Lieblingsdinge drehen wollte. Bei Inland Empire war dies nicht so. Das Drei-Stunden-Verwirrspiel zeigt Lynch pur - und das ist Segen und Fluch zugleich.
Eigentlich handelt es sich gar nicht mehr um einen Film, sondern um eine Erfahrung aus Schock-Szenen, absurden Einfällen und abstrakten Dialogen. Nüchtern betrachtet führt der Spaziergang im Labyrinth von einem abstrusen Kurzfilm in den nächsten. Jedes zweite Segment könnte sich nämlich gut und gerne alleine behaupten. (Immerhin wird auch die Hasen-Sitcom Rabbits mit den Stimmen von Naomi Watts und Laura Harring recycelt.)
Alles in allem entsteht so ein Monster an Abstraktionen und wiederkehrenden Schlüsselsätzen, in denen Figuren auftauchen, von denen jede mindestens eine weitere Identität besitzt.
Eine Inhaltsangabe zu geben, macht da wenig Sinn - zumal der noch am ehesten greifbare Plot erst nach einer halben Stunde Laufzeit beginnt. Soviel sei gesagt: Laura Dern ist die Protagonistin, in der sich gleich mehrere Figuren vereinen. Die wesentlichsten sind die Schauspielerin Nikki und deren Rolle Susan, die sie in einem neuen Film verkörpert. Die Frauen sind auf verschiedenen Wirklichkeitsebenen anzutreffen - einem Filmset, dem Film, der auf diesem Set gedreht wird, einem früheren “bösen” Film und dem Jenseits. Dazwischengestreut ist dann noch eine polnische Geistergeschichte. Ein Mann mit einer Glühbirne im Mund taucht auch auf - aber das würde jetzt zu weit führen.
Was erkennbar wird: David Lynch bedient sich der Motive seiner früheren Filme. Im Buch “Lynch on Lynch” sprach er seinerzeit immer wieder von Szenen, die “zu viel des Guten” waren und die deshalb aus seinen Filmen geschnitten wurden. Inland Empire wirkt nun so, als hätte Lynch all diese Szenen aus Mulholland Drive, Lost Highway und Wild at Heart in einen Film gepackt.
Der große Nachteil dabei: Die Freiheit dafür hat ihm eine Digitalkamera gegeben, was in verwackelten und verwaschenen Bildern resultiert. Genug Zeit, sich daran zu gewöhnen, hat der Zuschauer aber auf jeden Fall. Obwohl bei Inland Empire die Verschnaufpausen eines konventionellen Plots vollständig fehlen, wird trotzdem ein unwiderstehlicher Reiz des Rätsels entfacht. Einmal ansehen genügt - gerade für Lynch-Kenner - sicher nicht. Das Verlangen, sich noch mal drei Stunden irritieren zu lassen, ist auf jeden Fall da.
Nur erschöpft Lynch mit Inland Empire sein bisheriges Schaffen so sehr, dass er sich für seinen nächsten Film mehr einfallen lassen muss als hysterische Hammer-Fetischisten, “Film-im-Film”-Anspielungen und tanzende Prostituierte.
Markus “Marv” Grundtner