Originaltitel: The Chumscrubber
Kinostart: 05.10.2006
In einer kleinen Stadt
Jede Gesellschaft braucht Stützen, um nicht in sich zusammenzufallen. Die Idylle der kalifornischen Kleinstadt Hillside wäre unmöglich, gäbe es nicht den übertrieben wachsamen Polizisten Lou Bratley (John Heard), den esoterisch angehauchten Bürgermeister Michael Ebbs (Ralph Fiennes) und - selbstverständlich - Troy (Josh Janowicz). Was Troy so besonders macht? Wenn bei Jugendlichen das Glücklichsein nicht von alleine eintreten will, hilft er mit Medikamenten nach. Als sich Troy jedoch eines schönen Tages aufhängt, gerät nicht nur das Leben seines besten Freundes Dean (Jamie Bell) aus den Fugen, sondern auch die heile Fassade von Hillside zieht plötzlich tiefe Risse.
Unendlich sind die Galaxien des amerikanischen Spießbürger-Universums. Wie facettenreich frisch gemähte Vorgärten und deren Hüter sind, beweisen gesellschaftskritische Zeitreisen wie Pleasantville oder fein gewobene Satire wie American Beauty.
Regisseur Arie Posin schließt mit Glück in kleinen Dosen im Comicstil an seine Vorgänger an. Er versucht sich an einem Panoptikum vom Wahnsinn des normalen Lebens jugendlicher wie erwachsener Vorstädter. Dafür hat er eine illustre Schauspielerriege rekrutiert, sich dabei jedoch hoffnungslos übernommen.
Hillside ist nicht mehr als eine knallbunte Schwarzweißwelt: Auf der einen Seite stehen selbstbesessene Eltern wie der Psychologe Bill Stiffle (William Fichtner), der alle Verhaltensauffälligkeiten seines Sohns Dean für seine Bücher verwertet. Auf der anderen Seite üben sich desorientierte Teenager in der Kunst brutaler Entführung, um aus Dean den übrig gebliebenen Medikamentenvorrat von Troy zu erpressen.
Was hier schon verworren klingt und bereits für einen eigenen Film reichen würde, wird mit weiteren Kleinstädtern samt deren Spleens und Psychosen überlastet. So zahlreich die Charaktere sind, so wenig Platz bleibt für Schattierungen. In Hillside wechseln die Einwohner nur zwischen schräg, abgedreht und jenseitig.
Die Handlung verändert da schon grundlegender die Tonart, nur gelingen die abrupten Sprünge zwischen surrealer Komik, bodenfester Satire und philosophischem Weisheitsgefasel kaum. Ganz zusammenpassen wollen auch nicht die skurrilen Leitsymbole, die von Delfin-Silhouetten bis zu Zombies reichen. In sich sind die abgehobenen Ideengebilde stimmig, bleiben aber einsame Höhepunkte.
Beispiel gefällig? Der göttliche Wächter über Hillside tritt in Gestalt der Comic-Figur “Chumscrubber” auf. Der “Chumscrubber” hat eine nukleare Apokalypse überlebt, dabei aber seinen Kopf verloren, den er nun einsetzt, um die Untoten der Strahlenwüste zu bekämpfen.
Leicht lässt sich der kopflose Held auf Glück in kleinen Dosen ummünzen: Der Coming-of-Age-Groteske hätten weniger Gedankenspiele und Ideen sicher gut getan. Das Ergebnis sind lückenhafte Motivketten und unfertige Figuren.
Dieser Tage kommt Thumbsucker in die Kinos, der die Medikamentenproblematik auch aufgreift und daraus ein gewinnendes, klares Porträt entfremdeter Jugendlicher zeichnet. Arie Posin ist mit Glück in kleinen Dosen dagegen offensichtlich der Wahnvorstellung erlegen, jeden Zentimeter des eingangs erwähnten Spießbürger-Universums in einen einzigen Film packen zu können. Eine Implosion war mit damit unausweichlich.
Markus “Marv” Grundtner