USA, 2007
Kinostart: 05.04.2007
Als die von zügellosem Idealismus beseelte Junglehrerin Erin Gruwell (Hilary Swank) ihren Job in der Wilson High School in Long Beach antritt, ahnt sie noch nichts von den Schwierigkeiten, die ihr bevorstehen: Die meisten ihrer Schüler sind Gangmitglieder, auf Bildung hat niemand so richtig Bock und der allgegenwärtige Rassenhass eskaliert ein ums andere Mal in körperlichen Auseinandersetzungen.
Kurz nachdem zwei Mädchen aus Erins Klasse in eine Schießerei verwickelt werden, die ein Todesopfer fordert, schafft es Erin endlich, zu den Teenagerin durchzudringen. Mit ungewöhnlichen Unterrichtsmethoden und bewundernswerter Hingabe lehrt sie ihre Kids eindringliche Lektionen über Zivilcourage und Toleranz und gibt ihnen Hoffnung auf ein besseres Leben abseits der kursierenden Bandenmentalität.
Als besonders wirkungsvoll erweist sich das Projekt “Freedom Writers”: Jeder Schüler führt ein Tagebuch, inhaltliche Vorgaben gibt es keine und wer möchte, kann es Erin zu lesen geben. Die Niederschrift ihrer Erfahrungen und Ängste verändert ihr aller Leben nachhaltig.
Der Film basiert auf wahren Ereignissen, die sich an einer Schule in Long Beach nach den Krawallen von Los Angeles, die 1992 durch die Polizeigewalt gegen Rodney King ausgelöst wurden, abgespielt haben. Liest man die Inhaltsangabe, fühlt man sich unweigerlich an den klischeeüberhäuften und reichlich misslungenen Dangerous Minds mit Michelle Pfeiffer als resolute Lehrerin erinnert. Und auch Freedom Writers kommt nicht ohne Klischees aus und spart auch keineswegs an Pathos. Und trotzdem funktioniert das Sozialdrama prächtig, und mehr noch… es berührt nachhaltig.
Zum einen liegt dies an der grandiosen Hilary Swank, die einmal mehr ihren Facettenreichtum unter Beweis stellt. Egal ob sie als Boxerin in Million Dollar Baby Clint Eastwood aus der Reserve lockt oder als Femme Fatale Josh Hartnett in Black Dahlia hinters Licht führt, die zweifache Oscarpreisträgerin geht derart inbrünstig in ihren Rollen auf, es ist eine echte Freude, dem Ausnahmetalent zuzusehen. Wie sie es hier schafft, aus der etwas schusseligen, verunsicherten Pädagogin glaubhaft eine High-School-Mutter-Theresa zu formen, ohne haltlos dem Gutmenschentum zu frönen und dadurch Authentizität und Sympathie einzubüßen, das ist schlicht und ergreifend Weltklasse. Auch die Nebenrollen sind mit Imelda Staunton (Vera Drake) als Erins desillusionierte Vorgesetzte, Grey’s Anatomy-Charmebolzen Patrick Dempsey als vernachlässigtem Ehemann und Altmeister Scott Glenn als besorgtem Vater hervorragend besetzt. Die unverbrauchten Jungdarsteller runden die tolle
Ensembleleistung würdig ab.
Weitere Pluspunkte sind die stimmige Kameraarbeit von Jim Denault und der mitreißende, von Hip-Hop-Legende Rza zusammengestellte Soundtrack. Regisseur und Drehbuchautor LaGravanese erweist sich zudem als wahrer Meister in der Manipulation seines Publikums. Als Beispiel sei eine Szene genannt, die den hart erkämpften Zusammenhalt perfekt auf den Punkt bringt: Ein bis dato als stiller Mitläufer empfundener Latino liest in gebrochenem Englisch vor versammelter Mannschaft einen Auszug aus seinem Tagebuch vor. Stellvertretend für seine Klassenkameraden schließt er den bewegenden Text damit ab, dass er in seinem verpfuschten, von Tragödien bestimmten Leben, zum ersten Mal wieder ein echtes Zuhause hat: Das Klassenzimmer 203… Werte Leserschaft, gezielter kann man Tränen kaum noch einsetzen.
Fazit: Objektiv betrachtet liefert Freedom Writers genügend Angriffspunkte, um schlecht geredet zu werden. Mir liegt jedoch nichts ferner als in diesen Tenor einzustimmen, und daher empfehle ich das großartig gespielte, herzzerreißende Drama mit Nachdruck all jenen, die an solch hochemotionalen Stoffen ohne Scham die eine oder andere Packung Taschentücher verschwenden können.
Michael “Eminence” Reisner