Ein unglücklicherer Zeitpunkt für den Kinostart eines Radsport-Films ist kaum vorstellbar. Zum einen ist die Sportart durch diverse Doping-Affären mehr denn je in Verruf geraten, zum anderen dürften Rocky Balboa, Spiel auf Bewährung und Unbesiegbar den Bedarf an Sportlerdramen für eine ganze Weile gedeckt haben. Dabei hat der Eröffnungsfilm des letztjährigen Filmfests in Edinburgh durchaus seinen eigenen Charme.
Mit seinem Kinodebüt verfilmt Regisseur Douglas Mackinnon die Lebensgeschichte des schottischen Radsportlers Graeme Obree. Flying Scotsman basiert auf dessen gleichnamiger Autobiographie, die recht frei umgesetzt wurde. Im Film wird Obree, gespielt von Jonny Lee Miller (Trainspotting), als der klassische Außenseiter dargestellt: als Kind in der Schule gehänselt, als Erwachsener weitgehend mittellos, als Sportler ohne Team oder Sponsoren. Obwohl es im südschottischen Ayshire nicht mal eine Radrennbahn gibt, träumt Obree von Weltrekorden.
MacKinnon setzt auf die altbekannte Underdog-Geschichte. Dabei konzentriert sich Mackinnon glücklicherweise auf die Besonderheiten seines schottischen Helden. Statt augenfälliger Duellszenen zwischen Radprofis zu inszenieren, setzt der Film auf solide Charakterportraits, gewürzt mit augenzwinkerndem Lokalpatriotismus.
Graeme Obree ist ein Tüftler, der aus einer Waschmaschine und ein paar zusammengeklauten Teilen ein rekordtaugliches Rad zimmert. Obwohl er regelkonform vorgeht, ist sein Erfindergeist den hohen Herren des Radsportverbandes Uci ein Dorn im Auge. Die schlimmsten Konflikte spielen sich jedoch in Grames Innenleben ab: Er leidet an einer schweren Depression, die er sich nicht eingestehen kann.
Wie so oft ist der deutsche Titelzusatz “Allein zum Ziel” haarsträubend unsinnig. Dass ein Radfahrer solo im Sattel sitzt, ist trivial. Flying Scotsman lebt aber gerade von den Nebenfiguren, die Obree bei seiner Titeljagd unterstützen. Billy Boyd - den wohl jeder gerne zum Kumpel hätte - liefert in der Rolle des gewitzten Fahrradkuriers Malky ein wunderbares Gegengewicht zu den Personen, die Obree drangsalieren. Boyd gelingt es im Zusammenspiel mit Miller auch, die Grenzen der gemeinsamen Verbrüderung aufzuzeigen. Ebenfalls bedeutsam ist Graemes Frau Anne (Laura Fraser), die ihm durch alle Höhen und Tiefen hilft. Manchmal kann jedoch auch sie nicht mehr zu ihm durchdringen. Am ehesten gelingt dies dem radsportvernarrten Dorfpfarrer Baxter, hervorragend gespielt von Brian Cox.
Mit einem Helden, der statt Dopingmittel nur Marmeladenbrote im Gepäck hat, dürfte Flying Scotsman den Radsportfans eine willkommene Ablenkung zu eher unsportlichen Tagesmeldungen sein. Auf der anderen Seite gibt es wohl kinotauglichere Sportarten als unbedingt Bahnradfahren. So bedeutsam der Stundenweltrekord auch sein mag: die so genannten Hochgeschwindigkeits-Aufnahmen im Velodrom reißen nicht unbedingt aus den Sitzen.
Die fehlende Hochglanz-Action schadet kaum. Am Ende hätte sie gar nicht zu Obree gepasst, dem ja der offizielle Segen für eine glänzende Karriere stets verwehrt wurde. Obree selbst, der Jonny Lee Miller für einige Einstellungen auf dem Rad samt aufgeschnallter Kamera verfolgte, sagte über den Film: “Ich hoffe dass die Zuschauer aus dem Kino kommen, Fish’n’Chips kaufen und sich bemüßigt fühlen, etwas anzupacken”. Und tatsächlich: Weil Flying Scotsman die Geschichte eines Sportlers mit Ecken und Kanten sehr menschlich und unterhaltsam erzählt, entlässt der Film seine Zuschauer mit einem guten Gefühl aus dem Kinosaal.
Heiko “Tico” Titz