USA, 2006
Kinostart: 27.12.2006

Eine Fähre - bis auf den letzten Platz belegt mit feiernden Matrosen und ihren Familien - bewegt sich langsam über den Mississippi. Die Sonne strahlt über den breiten Fluss, der sich mit friedlicher Langsamkeit durch New Orleans bewegt. Für einen Moment vergisst man, dass diese Stadt vom Hurrikan Katrina verwüstet wurde. Dann: Eine Explosion. Schreie. Panik. Blut. In einem gigantischen Feuerball verwandelt sich die Fähre in einen Fall für Atf-Agent Doug Carlin (Denzel Washington).

Nein, Jerry Bruckheimers Filme zeichnen sich nicht durch Subtilität aus. Auch sind seine Produktionen nicht für einen Mangel an Pathos bekannt. Vielmehr belegen sie ein fast unerhört erfolgreiches Gespür für Zeitgeist (oder für massenwirksame Traumata, was gegenwärtig das Gleiche ist). Entsprechend vermischt sich in der Ikonographie der erwähnten Eingangssequenz die Erinnerung an Katrina-Chaos und einstürzende Zwillingstürme in den Rauchschwaden einer zerbombten Mississippi-Fähre zu jener paranoiden Grundstimmung, welche die USA seit vielen Jahren gefangen hält. Passend dazu zitieren die weißen Uniformen der panischen Marinesoldaten Bruckheimers eigenes Schlachtendrama Pearl Harbor - und verweisen auf diesem Wege auf die historische Urerfahrung der Verwundbarkeit Uncle Sams.

Da Serien wie 24 das vage Bedrohungsgefühl im Wochentakt ausbeuten, hat Terrorismus auf der Leinwand mit gewissen Ermüdungserscheinungen zu kämpfen. Doch Déjà Vu geht das Thema etwas anders an: Carlin jagt den Terroristen nicht in Echtzeit hinterher, sondern - quasi antithetisch zu Jack Bauer - in unterschiedlichen Zeitebenen: In der Nähe des Tatorts wird die Leiche einer jungen Frau gefunden - offensichtlich starb sie bereits vor der Explosion. Unter all den Opfern ist sie die eine Person, die Carlin nicht mehr aus dem Kopf gehen will. In ihrer Wohnung findet er einen obskuren Hinweis: U can save her!”

Bei seinen Ermittlungen trifft Carlin auf Fbi-Agent Pryzwarra (gespielt von einem sichtlich verfetteten Val Kilmer). Dessen Team will dem Täter mit modernster Überwachungstechnik auf die Spur kommen. Diese kann zwar jeden Winkel der Stadt überwachen, zeigt aber immer nur einen fortlaufenden Datenstrom” von Geschehnissen, die bereits vier Tage und sechs Stunden alt sind. Wo also soll man suchen?

Der Film treibt das grundsätzliche Dilemma der Terrorabwehr auf die Spitze: Behörden können zwar auf zahllose Überwachungsdaten und Hinweise zurückgreifen, sind aber kaum befähigt, die relevanten Informationen zu selektieren. Es braucht also jemanden mit Intuition. Eben einen Mann wie Carlin.

Regisseur Tony Scott hat sich schon früher mit dem Überwachungsstaat befasst. In Staatsfeind Nummer Eins (1998) ließ er die Nsa die Einkaufstüte von Will Smith auf einem Video dreidimensional” machen, um den Inhalt zu identifizieren.
2006 präsentieren Pryzwarra und seine Fahnder dem ungläubigen Carlin noch ganz andere Tricks: Sie zoomen mit ihren Kameras munter in Wohnungen hinein - so nah, dass sie eine Telefonnummer auf dem Display des Anrufbeantworters ablesen können. Aus jedem beliebigen Winkel. Tony Scott tobt sich in solchen Sequenzen richtig aus und führt in einer Einstellung nahtlos unterschiedliche Zeitebenen, Orte und Personen zusammen. Wie der Zuschauer ist auch Carlin von den Möglichkeiten des Überwachungsteams zunächst verblüfft. Jedoch lässt dieser als Außenstehender sich nicht von der Technik blenden und entlarvt die Betriebsblindheit der Truppe - spätestens seit Crimson Tide eine Paraderolle für Denzel Washington.

Allerdings ist es selbst für ihn keine leichte Aufgabe, mit ernster Miene gegen gewisse Zumutungen des Drehbuchs anzukämpfen. Auch das eigentlich hervorragende Produktionsdesign schießt in späteren Szenen etwas über das Ziel hinaus: Böswillige Zuschauer werden ihre aufgestauten Lacher spätestens in jener Szene loswerden, in der Carlin in einer Art Ghostbusters-Montur loszieht. Wer jedoch grundsätzlich nichts gegen solche Spielereien und ein wenig Tech-Talk a la Star Trek einzuwenden hat, mag durchaus Gefallen an der futuristischen Wendung finden. Déjà Vu ist - aller Erklärungsversuche zum Trotz - zwar nicht unbedingt einleuchtend, aber dafür ziemlich spannend und interessant.

Den kaum vermeidbaren Untiefen der Story war sich Tony Scott wohl bewusst. Wo er sich zu Beginn des Films noch viel Zeit für stimmungsvolle Details lässt, gewährt er dem Zuschauer gegen Ende kaum eine Sekunde zum Durchatmen und Nachdenken. Frühestens beim Abspann darf man dann entscheiden, ob man das Gesehene als pathetisch angereicherten Unsinn bewertet, oder doch als visuell und schauspielerisch eindrucksvolles Kino. Wer bereit ist, die grundsätzlichen Prämissen zu akzeptieren, wird wohl zu letzterem tendieren.

Heiko Tico” Titz