Originaltitel: The Departed
USA, 2006
Kinostart: 07.12.2006
Irish Affairs
Das Leben eines Spitzels ist auch unter optimalen Bedingungen kein Zuckerschlecken. Ständig lebt er in der Angst der Entdeckung. Zudem verliert er zunehmend seine Identität, denn schließlich muss er in seinem vorgeblichen Job gut sein, um aufzusteigen und so Zugang zu den relevanten Informationen zu erhalten. Wenn dann auch noch zwei Spitzel auf gegenüberliegenden Seiten des Gesetzes von ihren jeweiligen wahren Auftraggebern aufeinander angesetzt werden, wird für beide die Existenz zu einem Tanz auf dem Vulkan und es entsteht eine Dynamik, die über kurz oder lang mindestens einem von beiden das Genick brechen wird.
Dieser exzellente Filmstoff wurde 2002 unter dem Namen Infernal Affairs einer der größten Boxoffice-Erfolge in der Geschichte des Hong-Kong-Kinos, dem ein Prequel und ein Sequel folgten. Bei dieser Geschichte und diesem Erfolg war es natürlich nur eine Frage der Zeit, bis sich Hollywood zu einem Remake entschließen würde. Als dann Martin Scorsese, einer der bedeutendsten Regisseure unserer Zeit, für dieses Projekt gewonnen werden konnte und sich nach und nach eine sehr klangvolle Darstellerriege anschloss, lud alles dazu ein, die Erwartungen in den Himmel zu heben. Gleichzeitig war da aber auch die Angst vor der großen Enttäuschung. Scorseses letzte Projekte, Gangs of New York und Aviator, waren gemessen an seinem Standard missglückt, es ließ sich aber auch nicht einschätzen, wie viel die schwierigen Produktionsbedingungen der Werke zu diesem Einbruch beitragen hatten. Darüber hinaus kam bereits das Original der Perfektion sehr nahe, ein dramatisch straff
komponiertes, durchgestyltes, pathetisches Meisterwerk mit hervorragenden Darstellern.
Vielleicht war es diese Gefahr des völligen Scheiterns, die Departed - Unter Feinden erst seinen Weg zum totalen Triumph ebnete.
Denn wie Martin Scorsese das eigene Potential und das aller Beteiligten bündelte und es so verstand, dem ausgetretenen Pfad der Vorlage ganz nach Belieben zu folgen oder ihn zu verlassen, dafür wurde der Begriff Kongenialität erfunden.
Unter Feinden umfasst ausufernde 152 Minuten statt des effizienten 90-Minüters, ist dreckig statt stylisch, zynisch statt pathetisch, sieht aus, klingt und fühlt sich an wie ein echter Scorsese.
Die große Heldenfigur des Originals, der verdeckte Ermittler, der für seinen väterlichen Vorgesetzen zehnJahre in ständiger Lebensgefahr für die Triaden arbeitet, wird hier gezwungen, der irischen Mafia in Boston beizutreten, und lässt großen Zweifel aufkommen, ob er seiner Aufgabe gewachsen sein wird. Der Polizeichef wird folgerichtig in drei Figuren aufgesplittet und die Perspektive konsequent auf den Bösewicht Costello (Jack Nicholson) verschoben. So erhält Nicholson zahlreiche Szenen, die er - wie nicht anders zu erwarten - für einen Galaauftritt nutzt. Ursprünglich sollte Robert de Niro den Costello übernehmen, doch es ist nicht mehr vorstellbar, was er aus dieser Rolle gemacht hätte, weil Nicholson sie sich völlig zu eigen macht.
Vielleicht das größte Kompliment, das man einem Schauspieler machen kann.
Sein Frank Costello ist ein archaisches Relikt, dessen Motto er gleich zu Beginn des Films heraushaut: “Ich möchte nicht das Produkt meiner Umgebung sein, sondern dass meine Umgebung mein Produkt ist.” Dieser titanenhafte Anspruch macht von Anfang an klar, wie tief sein Fall sein wird.
Die anspruchsvollste Rolle fällt Leonardo DiCaprio als verdeckter Ermittler zu. Seine Figur muss ihr Leben wider Willen jeden Tag im Dienste eines paranoiden Psychopathen gefährden. DiCaprio stellt die ständige Angst und die inneren Konflikte der Figur eindringlich dar. Für seinen Gegenpart, der sich im Polizeirevier einnistet wie die Made im Speck, sich mit dem Extrageld seines Mentors ein schmuckes Apartment leistet und die hübsche Polizeipsychologin für sich gewinnt, kann Matt Damon auf seine Erfahrungen als Hochstapler Tom Ripley in der Highsmith-Verfilmung Der talentierte Mr. Ripley zurückgreifen und liefert eine solide Performance. Die dankbarste Rolle hat Mark Wahlberg, der neben Martin Sheen und Alec Baldwin eine der drei wichtigen Polizeifiguren spielt und als geborener Bostoner mit seinem Dialekt die besten One-Liner des Skriptes von William Monahan (Kingdom of Heaven) abgreifen darf. Die drei Frauenrollen des Originals wurden in eine komprimiert, was Vera Farmiga als einziger Frau in diesem Räuber-und-Gendarm-Spiel für große Jungs wenigstens etwas Spielzeit einräumt. Die Freundin des scheinbaren Polizisten und gleichzeitige Psychologin des scheinbaren Gangsters stellt die Verbindung zwischen den beiden Gegnern auf Leben und Tod dar. Dieses zusätzliche Love Interest hätte es vielleicht nicht zwangsläufig gebraucht, schließlich geht es sowieso schon um Leben und Tod, ist aber zu verschmerzen, da es nie in den Vordergrund gerückt wird.
So ist Departed - Unter Feinden geeignet, gleich drei vorschnelle Urteile aus der Welt zu räumen: Dass Remakes per se minderwertige Ware sind, dass Martin Scorsese seine besten Tage hinter sich hat und dass er niemals einen Regie-Oscar bekommen wird. Mit seinem besten Film seit zehn Jahren wäre zumindest alles andere als eine sechste Nominierung ein Affront.
Auch die Schauspielriege wird mit Nominierungen überschüttet werden. Die Daumen können wir außerdem für unseren Mann in Hollywood, Michael Ballhaus, drücken, der für seine exzellente Kameraarbeit über 40 Jahre im Allgemeinen und in Unter Feinden im Speziellen ebenfalls an der Reihe wäre. Wer weiß, vielleicht haben diejenigen, die den Film jetzt verpassen, im März nocheinmal die Gelegenheit, das Versäumte nachzuholen.
Sven Ole Leisure Lorence Lorenzen