USA, 2007
Deutschland wird vermutlich nie mehr eine Filmkultur besitzen, die mit der Us-amerikanischen mithalten kann. Nicht zuletzt dank hoher Eintrittsgelder und noch höherer Kosten für die passende Verpflegung ist ein Kinobesuch für viele Leute hierzulande ein besonderes und vor allem seltenes Ereignis geworden.
n den USA sieht das etwas anders aus. Wer beim Einkaufen in der örtlichen Shopping-Mall eine Pause braucht, setzt sich schon mal ins angeschlossene Kino, um sich für 90 Minuten berieseln zu lassen.
Auf exakt dieses Publikum scheint Disturbia gemünzt - ein leicht verdaulicher Thriller, der eine Weile lang fesselt, ohne nach der Vorführung noch allzu lang nachzuwirken.
Ein Jahr, nachdem Kale (Shia LeBeouf) seinen Vater bei einem wuchtig inszenierten Autounfall verlor, kommt ihm sein Spanischlehrer komisch. Der Lehrer kriegt eins auf die Kauleiste und Kale drei Monate Hausarrest.
Von nun an mit einem schicken Sender am Fußgelenk ausgestattet, der seinen Handlungsradius auf 30 Meter rund um die in der Küche befindliche Basisstation beschränkt, macht er sich daran, das schulfreie Leben zu genießen. Dies bedeutet vor allem, der neu zugezogenen Nachbarstochter beim Schwimmen und Stretchen zuzusehen. Als diese davon Wind bekommt und sich als logische Konsequenz bei ihm einquartiert, sucht er sich ein anderes Ziel: seinen Nachbarn (David Morse), der offenbar einige junge Frauen in seinem Haus vergraben hat.
Würde sich Disturbia zum Offensichtlichen bekennen und als Remake von Alfred Hitchcocks Das Fenster zum Hof anlaufen, wären die Erwartungen natürlich hoch. Die Macher gingen allerdings ohne allzu großen Ehrgeiz an ihr Werk.
Man könnte argumentieren, dass man James Stewart, Grace Kelly und Raymond Burr mit Shia LeBeouf, Sarah Roemer und David Morse ohnehin nur wenig entgegenzusetzen hat, doch ist der Film auch jenseits seiner soliden aber wenig aufregenden Darsteller viel zu sehr im Moment verwurzelt, als dass er sich zu einem langlebigen Klassiker entwickeln könnte. Disturbia aalt sich derart in popkulturellen Referenzen, dass die Zielgruppe den Film kaum mehr verstehen wird, wenn er auf Dvd erscheint. Da wird Xbox Live gespielt, da wird das iTunes-Konto gesperrt, da werden Videos auf YouTube hochgeladen - für einen Blick auf Kales Second-Life-Avatar müssen wir vermutlich den Director’s Cut abwarten.
Seiner unnötig kurzen Halbwertszeit zum Trotz besitzt Disturbia dennoch eine gewisse Existenzberechtigung. Die Einleitung macht zwar eigentlich nur deutlich, dass jugendliche Spanner vertrauenswürdiger sind als hispanische Cops, und süße Mädels es unwiderstehlich finden, mit Ferngläsern beobachtet zu werden - kommt der Plot jedoch in Fahrt, geht es eine ganze Weile lang wirklich spannend zu. David Morse lässt gar nicht erst Zweifel daran, was er in seiner freien Zeit so anstellt, sondern geht gleich in die Vollen. Das ist natürlich wenig subtil, bringt aber wenigstens ein wenig nötigen Schwung ins Geschehen. Dass das Finale einen Schwenk vom effektiven Thriller zum blödsinnigen Slasherfilm vollführt, entfernt Disturbia dann wieder einen großen Schritt von seinem Vorbild.
Im Gewand eines banalen aber nicht unspannenden Thrillers bietet Disturbia das Zeitzeugnis einer Jugendkultur, in der es durch Video-Blogs, Webcams und MySpace normal und legitim geworden ist, am Leben anderer Leute teil zu haben. Der Film marschiert mit wehenden Fahnen über die Grenze zwischen erwünschtem Einblick und hemmungslosem Voyeurismus und erklärt letzteren nicht nur für akzeptabel, sondern zur Bürgerpflicht.
Moralisch gesehen ist Disturbia somit eine Katastrophe, im Rahmen eines Videoabends kann man ihm auf Grund einiger echter Spannungsmomente jedoch eine Chance geben.
Felix “Flex” Dencker