Divergent
USA, 2014
Lunger Games
In Friedrich Nietzsches Also sprach Zarathustra werden in einer Fabel die Entwicklungsstufen des Menschen gezeigt. Zunächst das Kamel, das sich mit allem beladen lässt, was die Gesellschaft und die Eltern so für ihn vorsehen. Dann als Löwe, der den Drachen “Du sollst” erschlägt und an seine Stelle das “ich will” setzt, also der rebellierende Teenager. Am Ende steht das Kind, das selbst etwas schafft, ohne sich von der Gesellschaft reinreden zu lassen.
Im Science-Fiction-Thriller Divergent ist die Protagonistin Beatrice zunächst durch und durch Kamel. Ihre Kaste “Altruan” hat sich der Nächstenliebe und Verpflichtung zum Guten verschrieben. Wie eine Nonne angezogen, macht sie brav alles, was ihr die Eltern auftragen. Doch mit ihrem 16. Geburtstag kommt der große Eignungstest, der entscheidet, in welcher der fünf Fraktionen sie zukünftig leben wird. Neben Nächstenliebe stehen noch Wildheit, Naturverbundenheit, Intelligenz und Ehrlichkeit zur Auswahl. Diese bizarre Aufspaltung soll irgendwie ein friedliches Zusammenleben fördern. Als Beatrices Test sie als “divergent”, also als nicht eindeutig einsortierbar, einstuft, verlässt sie kurz entschlossen ihre angestammte Fraktion, wird ein Löwe und wirft die Verpflichtungen ab. Wie jeder Teenager wird sie magisch von den Bad Boys angezogen, in ihrem Fall den Ferox, einer Krieger-Kaste aus Parcour-Douchebags, die sich mit ihren Tribal-Tattoos, Tunnel-Earrings und bunten Frisuren kaum
von zeitgenössischen Douchebags unterscheiden lassen.
Mit der gesammelten Sanftmut ihrer Erziehung fällt es Tris, wie sie sich jetzt nennt, äußerst schwer, die Brutalität der Grundausbildung durchzustehen. Darüber hinaus muss sie ihre Identität als “Divergent” geheim halten, da ihr sonst ein Leben auf der Straße droht. Und dann kommt sie auch noch einer Verschwörung auf die Spur, die diese tolle, tolle Gesellschaft umstürzen will.
Man muss es zumindest einmal klar aussprechen: Die Grundidee ist komplett lächerlich. Es ist schwer vorstellbar, dass sich solch ein Kastenwesen für länger als 10 Minuten halten kann.
Aber Science-Fiction handelt nicht von der Zukunft, sondern von der Gegenwart. Und jeder hat einen Bekannten, der sich ausschließlich über seine Intelligenz oder seine körperliche Stärke definiert (und wenn ihr keinen solchen Bekannten habt, seid ihr es vermutlich selbst).
Und dass Gesellschaften aller Epochen hervorragend darin waren, Menschen, die irgendwie unangepasst waren, auszugrenzen, ist auch bekannt. Insofern ist Divergent als Film gar nicht so dumm, wie es die Grundidee suggeriert.
Eine Schwachstelle ist leider Hauptdarstellerin Shailene Woodley, bei der man den Eindruck hat, sie sei wegen ihrer äußerlichen Ähnlichkeit zu Hunger Games-Star Jennifer Lawrence besetzt worden. Die verträumte, phlegmatische graue Maus kauft man ihr im ersten Drittel des Filmes problemlos ab, aber als furchtlose Kriegerprinzessin ist sie komplett unglaubwürdig. Darüber hinaus ist der Film mit 140 Minuten mindestens eine halbe Stunde zu lang, was sich im sehr langsam erzählten Mittelteil mit der obligatorischen Romanze besonders bemerkbar macht.
Aber für einen Hunger Games-Klon schlägt sich Divergent ansonsten durchaus achtbar. Die Schauspieler sind abgesehen von der erwähnten Ausnahme erträglich, ebenso Produktionswerte, Action und Dialoge. Der Zielgruppe kann man den Film also durchaus ans Herz legen.
Sven Ole Lorenzen