Originaltitel: The Incredible Hulk
USA, 2008
Kinostart: 10.07.2008
Der mit dem grünen Daumen
Auf eine Woche genau fünf Jahre nachdem Ang Lee einen Hulk auf die Leinwand brachte, der den meisten Fans zu kopflastig, zu experimentell geraten war, wagen die Marvel Studios einen zweiten Anlauf. Der Neuanfang, den die Gerüchteküche heraufbeschwor, bleibt aus, eine direkte Fortsetzung ist es allerdings auch nur zum Teil geworden. Der Film knüpft lose an den ersten an und beschränkt den genetischen Werdegang Bruce Banners auf einige Filmschnipsel im Vorspann. Dieser lebt nun in einer Favela in Rio, lernt seine Emotionen zu kontrollieren und versucht gemeinsam mit einem fremden Wissenschaftler ein Heilmittel zu finden.
Doch die Zeit wird knapp, denn die Gegenseite formiert sich. Unter der Leitung von General Ross (William Hurt) unterzieht sich der manische Soldat Emil Blonsky (Tim Roth) ähnlichen Experimenten, um die Kräfte des Hulk zu erlangen. Können Bruce, seine alte Flamme Betty und der mysteriöse Mr. Blue die Katastrophe verhindern?
Das große Risiko, das Ang Lee mit seiner Verfilmung einging, wollte Regisseur Louis Leterrier offensichtlich nicht wiederholen. Während der erste Film einen Vater-Sohn-Konflikt erdichtete, liegt der zweite wieder nah an der Vorlage, womit er bei Puristen und Actionfans gleichermaßen einen Bonus einheimsen dürfte. Auch regietechnisch blieb Leterrier auf der sicheren Seite und unterließ die Spielchen, mit denen Lee einen Comic-Look schaffen wollte. Der neue Hulk hangelt sich von einer Actionsequenz zur nächsten, die Pausen dazwischen scheinen den Figuren fast ebenso lästig zu sein wie den Zuschauern vermutlich auch.
Und hier liegt gleichermaßen die Stärke und die Schwäche des Films. Durch die deutlich besseren Effekte bleibt der unfreiwillige Humor des ersten Films aus, die Action macht wesentlich mehr Spaß und der Film weiß die Auftritte des grünen Riesen auch schön zu verteilen - vom ersten, im Dunkeln gehaltenen, bis zum letzten, in dem der Hulk und sein Gegner sich eine Vernichtungsorgie liefern, die die Sitze zum Beben bringt. Echt wirkt das Ganze natürlich immer noch nicht - wenn ein grünes Monster Panzerwagen und Hubschrauber zerlegt und wenige Meter weiter Touristen mit Kamerahandys stehen, wünscht man sich, der Regie-Assistent hätte den Komparsen die Bedrohung etwas eindringlicher nahe gebracht. Dennoch bleiben die Actionszenen im Gedächtnis, während die charakterbetonten Teile des Films die Debatte um die Schnittfassung ins Gedächtnis rufen. Bei 114 Minuten Laufzeit bekam Edward Norton, der auch am Drehbuch mit arbeitete, definitiv nicht die Langfassung, die er Gerüchten zu Folge in der
Chefetage durchsetzen wollte. Der Film ist voll von kleinen und großen Anspielungen an die Comics, die alte Serie und das Marvel-Universum, und auch wenn einige davon äußerst bemüht wirken, werden sich die Fans daran erfreuen. Wie schön wäre es, wenn der Charakterentwicklung die selbe Aufmerksamkeit geschenkt worden wäre wie diesen kleinen Witzchen. Sämtliche Tiefe, die der erste Teil mitbrachte, ist dahin. Die Frankenstein-Metapher, die Ähnlichkeiten zum Werwolf-Genre, der Reiz des Loslassens… Ang Lees Hulk war vielleicht etwas zu vollgepackt für eine hochbudgetierte Comicverfilmung, doch ein Hauch von Tiefgang hätte auch dem 2008er Hulk gut zu Gesicht gestanden. Hier kann man nur mutmaßen, was gekürzt wurde - ca 70 Minuten an geschnittenen Szenen wurden für die Blu-ray Disc bereits angekündigt, ein Teil davon soll auch auf der Dvd enthalten sein.
Edward Norton legt eine wesentlich subtilere Vorstellung hin als seinerzeit Eric Bana und setzt eher auf kleine Gesten als auf Overacting. Liv Tyler ist nett und süß wie immer, zeigt aber im gesamten Film nicht die darstellerische Bandbreite wie ihre Vorgängerin Jennifer Connelly in einer einzigen Dialogszene. Man könnte argumentieren, dass erst eine eventuelle Langfassung bzw. die zusätzlichen Szenen die ganze Wahrheit zeigen werden, doch in der Kinoversion kostet sie den Film einiges an Glaubwürdigkeit. Einen gelungenen Gegenspieler findet Norton allerdings in Tim Roth. Sein Charakter mag flach bleiben, sein Spiel ist es nicht. Wie Norton vermittelt auch Roth eine Menge durch Mimik und Gestik, so dass der charakterliche Teil des Films nicht gerettet, nichtsdestotrotz aber aufgewertet wird.
Ang Lee riskierte eine Menge und verlor. Louis Leterrier riskierte wenig und verlor trotzdem, vermutlich gegen seine Chefs. Der unglaubliche Hulk bietet eine Menge wuchtiger Action, so dass sich die wenigsten Zuschauer um ihr Eintrittsgeld betrogen fühlen werden. Eine allgemeine Empfehlung könnte aber höchstens in Richtung einer eventuellen Heimkino-Fassung zielen.
Felix “Flex” Dencker