Originaltitel: Hwal
Südkorea, 2005
Kinostart: 27.07.2006
Ein junges Mädchen lebt gemeinsam mit einem alten Mann auf einem Fischerboot. Seit sie im Alter von sechs Jahren von dem wortkargen Seebären aufgenommen wurde, hat sie ihr neues Zuhause auf hoher See nicht wieder verlassen. Das bezaubernde junge Ding ist oftmals Opfer von sexueller Belästigung durch Touristen, die sich auf dem Kahn einmieten, um zu fischen. Doch bislang gelang es dem alten Mann immer, die Übergriffe mit Pfeil und Bogen abzuwehren. Eines Tages tritt jedoch ein junger Student in das Leben der Bootsbewohner und durchbricht deren von intimen Ritualen geprägten Alltag. Als das Mädchen zunehmend Interesse an dem Neuankömmling zeigt, sieht ihr Ziehvater, der eine baldige Hochzeit mit seinem Mündel plant, die gemeinsame Zukunft gefährdet. Ein folgenschwerer Machtkampf scheint unausweichlich.
Der koreanische Regisseur Kim Ki-Duk wird dem Arthousepublikum noch durch sein faszinierendes Werk Bin Jip - Leere Häuser ein Begriff sein, das ihm auch den Silbernen Löwen in Venedig einbrachte. Mit Hwal - Der Bogen bleibt er seinem Inszenierungsstil treu: Symbolträchtige, wunderschöne Bilder und ein Minimum an Gesprochenem, gepaart mit einer märchenhaften und doch grausam wirklichkeitsnahen Geschichte, verleihen auch dem neuesten Meisterstück des Ausnahmekönners eine schwer fassbare, melancholische Stimmung.
Das Setting des in nur siebzehn Drehtagen vollendeten Dramas beschränkt sich ausschließlich auf das erwähnte Fischerboot. Mit überaus geschickten Kameraeinstellungen werden dem Zuseher sowohl die Enge des auf wenige Quadratmeter limitieren Lebensraumes als auch die unendliche Weite des umliegenden Meeres und das damit verbundene Gefühl von Freiheit näher gebracht. Dem Aufbegehren des jungen Mädchens, ebenso namenlos wie die restlichen Charaktere, wird durch diesen verbildlichten Zwiespalt zusätzliches Gewicht verliehen. Der Ausbruch aus Gewohntem, sei es auch noch so liebgewonnen, wird ebenso als Zeichen des Erwachsenwerdens transportiert wie das zunehmende Bedürfnis an sexueller Zuwendung. Beides wird durch den von Seo Si-jeok gespielten “Eindringling”, ohne dem Klischee eines archetypischen Romeos zu entsprechen, angenehm zurückhaltend verkörpert. Der alte Mann, mit der ausdruckstarken Mimik des Schauspielers Jeon Seong-hwan ausgestattet, steht einerseits für Vertrauen und Sicherheit
und andererseits für die allgegenwärtige Angst vor der Einsamkeit. Dazwischen befindet sich die hinreißende Han Yeo-reum, die es bemerkenswert versteht, das emotionale Ungleichgewicht ihres Filmcharakters glaubhaft darzustellen. Ihren ureigenen Liebreiz verliert sie auch in den trotzigsten Phasen und traurigsten Momenten nicht und erinnert damit ein wenig an Zhang Ziyi, die über eine ähnliche Ausstrahlung verfügt.
Und der titelspendende Bogen? Ein Symbol, zugleich Waffe, Musikinstrument und Orakel, welches die vielschichtigen Bedeutungen der Geschichte in sich vereint. Ein macht- wie gefühlvolles Werkzeug, das Schmerz wie Freude hervorrufen, anmutig und doch tödlich sein kann.
Hwal - Der Bogen markiert einen weiteren Höhepunkt in der beruflichen Vita des Kim Ki-Duk. Ein herrlich bebildertes, eindringlich gespieltes Drama, das existenzielle Fragen aufwirft und sich davor hütet, diese leichtfertig zu beantworten.
Michael “Eminence” Reisner