Originaltitel: His Dark Materials: The Golden Compass
USA, 2007
Kinostart: 06.12.2006
Das zwölfjährige Waisenkind Lyra Belacqua (Dakota Blue Richards) verbringt im altehrwürdigen Jordan College in Oxford eine weitgehend unbeschwerte Kindheit. Wie jeder andere Mensch ihrer Welt ist auch sie untrennbar mit einem “Dæmon” verbunden, einem Seelenfreund, der sie ein Leben lang begleitet und bis zur Pubertät auch noch beliebig seine tierische Gestalt wechseln kann. Doch nimmt das zufriedene Dasein Lyras ein jähes Ende, als ihr bester Freund Roger (Ben Walker) von den mysteriösen “Gobblern” entführt und in den hohen Norden verschleppt wird. Dort befindet sich bereits ihr herrischer Onkel Asriel (Daniel Craig) um ein geheimnisvolles, kosmisches Phänomen zu untersuchen, das gemeinhin als “Staub” bezeichnet wird und seinen Ursprung in den Sphären des Nordlichts zu haben scheint.
Als die Wissenschaftlerin Mrs. Coulter (Nicole Kidman) in ihr Leben tritt und Lyra einen Assistenzposten anbietet, sieht diese die Chance gekommen, zum Polarkreis zu gelangen, um Roger zu retten. Doch bevor sie mit der weitgereisten Dame von Welt nach London zieht, erhält sie vom Rektor des Jordan Colleges ein uraltes, einem Kompass ähnelndes Instrument namens Alethiometer. Dieser magische Gegenstand wird ihr noch wertvolle Dienste erweisen, steht dem mutigen Mädchen doch ein unglaubliches Abenteuer mit dem wilden Seefahrervolk der Gypter, mächtigen Hexen und gepanzerten Eisbären bevor, an deren Ende Lyra selbst eine entscheidende Rolle im Schicksal ihrer und anderer Welten einnimmt.
Der Goldene Kompass ist die Verfilmung des gleichnamigen ersten Teils der beliebten Fantasytrilogie “His Dark Materials” des britischen Schriftstellers Philip Pullman, der sein vieldiskutiertes Werk als Gegenentwurf zu C.S. Lewis’ “Die Chroniken von Narnia” und deren unterschwellige christliche Ideologie betrachtet. Pullman selbst stand dem Kinoprojekt von Regisseur Chris Weitz, der die Leinwandadaption eine echte “Liebesarbeit” nennt , stets mit Rat und Tat zur Seite. Jedoch reichte sein Einfluss wohl nicht weit genug…
Um eines von vornherein klarzustellen: Der Goldene Kompass ist um Welten besser als der völlig verkorkste Eragon und übertrumpft auch noch locker den heillos überbewerteten Der König von Narnia. Der erwartet große Wurf ist New Line Cinemas Großproduktion aber leider nicht, wobei die Hauptschuld weniger die Inszenierung und schon gar nicht die Besetzung trägt, sondern allein dem schwammigen Drehbuch aus der Feder von Weitz selbst anzukreiden ist. Natürlich muss jede Buchadaption Kürzungen in Kauf nehmen, gewiss müssen manche Dinge vereinfacht dargestellt werden und selbstverständlich gelingt es nie vollständig, Charaktere derart präzise und gesamtheitlich auszuformulieren wie in der verschriftlichten Vorlage. Doch mit dem richtigen Fingerspitzengefühl können auch Mammutwerke vortrefflich auf der Leinwand funktionieren, was Philippa Boyens, Fran Walsh und Peter Jackson mit ihrer Der-Herr-der-Ringe-Trilogie eindrucksvoll unter Beweis stellten.
Doch der Reihe nach. Das Vorwort und die erste halbe Stunde bilden eine gelungene Exposition und bringen die Handlung ordentlich auf den Weg. Viele der wichtigsten Figuren werden eingeführt, dem nicht mit der Buchvorlage vertrauten Publikum wird ein Einblick in die Eigenarten dieser fremdartigen Welt gewährt und auch der wichtige Bezug zur Protagonistin kann erfolgreich hergestellt werden. Damit wäre eine gute Basis geschaffen, um nachfolgend einen Schritt weiter zu gehen, indem man nicht nur die Handlung vorantreibt, sondern auch die bereits eingeführten und neu hinzugekommenen Charaktere vertieft und ihre Beziehungen zueinander näher beleuchtet. Stattdessen ging man dazu über, noch stärker zu komprimieren, womit so wichtige Personen wie Farder Coram (Tom Courtenay), John Faa (Jim Carter) oder auch die Hexe Serafina Pekkala (Eva Green) nie über den Status eindimensionaler Nebenfiguren hinauskommen. Dadurch wird die Verfilmung um einen Großteil des Charmes des Pullman-Werkes beraubt, das - neben der Originalität des erschaffenen Makrokosmos und dem zu honorierenden Ruf nach einer von freiem Willen bestimmten Gesellschaft - vor allem auch von seinen liebevoll gezeichneten, vielschichtigen Charakteren lebt. Der angesprochene Verkürzungswahn hat darüber hinaus nicht nur mehrere Anschlussfehler zur Folge, sondern geht sogar so weit, dass wesentliche Abläufe in chronologisch falscher Reihenfolge abgehandelt werden, um so die einzige größere Kampfhandlung als großes Schlachtenfinale verkaufen zu können. Dramaturgisch stellt man sich damit ebenso ein Bein, wie mit der Entscheidung, die letzten Kapitel des ersten Bandes erst im geplanten zweiten Teil zu zeigen. So wurde zwar ebenfalls ein für jedermann klar ersichtliches, offenes Ende, gefunden, doch tut man damit vor allem der hochinteressanten Figur des Lord Asriel keinen Gefallen und lässt sie in einem Zustand nebulöser Bedeutungslosigkeit verweilen.
Natürlich gibt es auch einige Lichtblicke. Dakota Blue Richards erweist sich als vorzügliche Besetzung und stellt nachdrücklich klar, dass es sich bei der lausbübischen Lyra keineswegs um ein weiteres nervig-quengelndes Kind handelt, dass unschuldig und in ständiger Angst zahlreiche Abenteuer erlebt. Die authentische Darstellung ihrer rebellischen Ader, ihres Eigensinns und Mutes versinnbildlicht die Moral hinter der Geschichte Pullmans hervorragend. Daneben glänzt Nicole Kidman, die der betörenden Mrs. Coulter eine unvergleichliche Aura aus Eleganz und Gefahr verleiht. Großartig auch Sam Elliott als süffisanter, mit breitestem texanischem Akzent versehener Aeronaut Lee Scoresby. Darüber hinaus wurden auch die Sprechrollen überaus passend besetzt: Ian McKellen und Ian McShane als die Panzerbären Iorek Byrnison und Ragnar Sturlusson, Freddie Highmore als Lyras Dæmon Pantalaimon oder auch Kathy Bates als Lee Scoresbys Dæmon Hester liefern überzeugende Leistungen ab.
Die visuelle Umsetzung, vom Weltendesign an sich bis hin zur Animation der vielen Dæmonen, präsentiert sich zeitgemäß und ist dementsprechend schön anzusehen. Neue Maßstäbe konnte man jedoch keine setzen, große Effektgewitter bleiben aufgrund der wenig martialischen Vorlage ohnehin aus. Die Musik von Alexandre Desplat untermalt das Geschehen gekonnt, wirkt nie aufdringlich, hat aber auch keinerlei Ohrwurmqualitäten wie etwa ein Herr-der-Ringe- oder auch Harry-Potter-Soundtrack mit ihren prägnanten Hauptthemen. Die Kameraarbeit Henry Brahams kommt ohne hektisches Herumgewackle aus und setzt stattdessen auf opulente Großaufnahmen und angenehme Übersichtlichkeit in den Kampfsequenzen.
Fazit: Toll besetzt, schön anzusehen und doch etwas enttäuschend. Eine sorgfältigere Drehbuchumsetzung und gute 30 Minuten mehr an Charaktervertiefung hätten aus Der Golden Kompass mehr gemacht als “nur” ein sehenswertes Fantasyabenteuer ohne jegliche Langzeitwirkung.
Michael “Eminence” Reisner