Originaltitel: Changeling
USA, 2008
Kinostart: 22.01.2009
Kaum eine Berufsgruppe musste in der Filmgeschichte mehr einstecken als die amerikanische Polizei. Von Ein ausgekochtes Schlitzohr über The Usual Suspects bis hin zu Training Day sind Polizisten machthungrige Misanthropen, die sich aufführen wie Gutsherren im Mittelalter. Kämpft ein Polizist für Recht und Ordnung, ist es oft ein Dirty Harry, der gegen den Strom schwimmt und dafür Ärger mit seinen Vorgesetzten bekommt. Clint Eastwoods Film Der fremde Sohn, nach dem Drehbuch von J. Michael Straczinsky, wird sicherlich wenig beitragen, das Bild der Polizei zu verbessern. Erst recht, da er auf einer wahren Geschichte basiert.
Angelina Jolie spielt Christine Collins, die im Los Angeles des Jahres 1928 bei einer Telefonfirma arbeitet. Als sie eines Tages nach Hause kommt, ist ihr 9-jähriger Sohn Walter spurlos verschwunden.
Nach Monaten des Wartens erhält sie vom Lapd die ersehnte Nachricht: Walter wurde gefunden. Als Christine zum Bahnhof eilt, um ihren Sprössling in den Arm zu schließen, kommt der Schock. Das Kind, das da vor ihr steht und behauptet, Walter Collins zu sein, ist nicht ihr Sohn. Die Polizei, deren Ruf durch Korruption und Unfähigkeit bereits schwer angeschlagen ist, hat die Wiedervereinigung von Mutter und Sohn jedoch zum großen Pr-Coup aufgebauscht, und so versucht man, Christine ruhig zu stellen. Captain Jones (Jeffrey Donovan) schickt ihr sogar einen Arzt vorbei, der ihr erläutert, dass der Junge durch das Trauma geschrumpft sei.
Als Christine sich weiter an die Presse wendet, werden härtere Bandagen angelegt.
Währenddessen sucht Detective Lester Ybarra (Michael Kelly) auf einer abgelegenen Ranch einen kanadischen Jungen, der sich illegal im Land aufhält. Als er ihn findet, erzählt der ihm eine schockierende Geschichte, die als die “Wineville Chicken Coop Murders” in die amerikanische Kriminalgeschichte einging.
Das große Problem des Films ist, dass der zweite Handlungsstrang dem Ersten mit Fortschreiten der Handlung zunehmend den Wind aus den Segeln nimmt. Der Fall des Serienmörders Gordon Northcutt (Jason Butler Harner) bietet genug Dramatik für einen eigenen Film, doch da Der fremde Sohn mit vollem Fokus auf die Geschichte von Christine Collins beginnt, wirkt die Suche nach Northcutt wie lästiges Beiwerk. Obwohl der Hauptteil der Geschichte nach etwa einer Spielfilmlänge zu Ende erzählt ist, bringt der Film noch einige Zeit damit zu, Fäden zu verknüpfen und mündet dennoch nur in ein relativ unbefriedigendes Ende. Zugegebenermaßen blieb den Machern beim letzten Punkt nicht viel anderes übrig, denn die Geschichte endete nun mal so. Eine gewisse Straffung im letzten Drittel hätte dem Film allerdings gut getan.
Clint Eastwoods Der fremde Sohn erzählt von einem menschlichen Drama, das sich in dieser Form heutzutage nicht mehr abspielen könnte. Es ist ein Blick in eine dunkle Vergangenheit, mit tollen Darstellern und einer authentischen Atmosphäre, die vor allem in den ersten beiden Dritteln bedrückend und packend gerät. Gegen Ende verliert der Film seinen Fokus, versucht zu viel auf einmal zu erzählen und erreicht dadurch letzten Endes zu wenig. Als Mahnung vor der Rücksichtslosigkeit der Mächtigen ist er alles andere als ein schlechter Film. Wer etwas wirklich Großartiges erwartet, wird jedoch enttäuscht werden.
Felix “Flex” Dencker