Originaltitel: The Imaginarium of Doctor Parnassus
Großbritannien, 2009
Kinostart: 07.01.2010
Der neue Film von Terry Gilliam wird von zwei Fragen begleitet: Konnte Gilliam den Tod von Hauptdarsteller Heath Ledger, der während der Dreharbeiten unerwartet starb, filmisch glaubhaft verarbeiten?
Und kann Gilliam nach dem unsäglichen Brothers Grimm und dem schwer zugänglichen Tideland an frühere Fantasyerfolge wie Time Bandits oder Brazil anknüpfen?
Ja und Nein.
Vor vielen Jahren schloss der unsterbliche Dr. Parnassus (Christopher Plummer) eine Wette mit dem Teufel (Tom Waits) ab. Der Preis: die Seele seiner Tochter Valentina (Lily Cole), die zu Beginn des Films kurz vor ihrem 16. Geburtstag steht.
Bevor die Frist abläuft, nimmt die Truppe einen geheimnisvollen Mann (Ledger) auf, der vorgibt, sich nicht einmal an seinen Namen zu erinnern. Daraufhin lässt sich der spielfreudige Beelzebub, genannt Mr. Nick, auf eine neue Wette ein, die Valentina vor ihrem höllischen Schicksal bewahren könnte.
Das titelgebende Kabinett ist ein klappriger Schauwagen mit einer ebenso klapprigen Bühne, auf der ein Spiegel steht. Wer durch diesen hindurch schreitet, landet in einer Welt, die seinem eigenen Unterbewusstsein entspringt und in der er sich zwischen gut und böse entscheiden muss. Günstig für Gilliam, der somit seiner überbordenden Fantasie freien Lauf lassen kann. Geradezu angeberisch tischt er farbenfrohe, schaurige, schöne, einfallsreiche Welten auf, die auch glaubhaft machen, wenn Ledgers Figur auf einmal aussieht wie Johnny Depp, Jude Law oder Colin Farrell. Schauspielerisch gibt es ebenfalls nur Positives zu berichten. Vor allem Plummer und Waits bilden ein schönes Gespann und geben dem Film einen stabilen zentralen Konflikt. Auch Andrew Garfield, Arthouse-Freunden vielleicht als “Boy A” im Gedächtnis, macht in der Rolle des in Valentina verknallten Hilfsknechts Anton einmal mehr auf sich aufmerksam, zumindest soweit es seine etwas platt konstruierte Figur erlaubt.
Womit wir beim großen Problem des Films wären. Die Fantasiewelten mögen einfallsreich sein und der Zwist zwischen Parnassus und Mr. Nick unterhaltsam, doch der Rest der Geschichte ist durchweg uninteressant. Das romantische Geplänkel des hilflosen Anton lädt zum Gähnen ein, der dubiose Hintergrund von Ledgers Figur entpuppt sich als schrecklich generisch, und nicht zuletzt gibt der Teufel seinem vermeintlichen Widersacher derart viele zweite Chancen, dass echte Spannung partout nicht aufkommen mag. Zudem ist die Mythologie, die hinter dem Spiegel steht, bestenfalls durchwachsen. Die moralischen Entscheidungen, denen sich die Leute in den Spiegelwelten stellen müssen, sind uneindeutig und teilweise schlichtweg unsinnig.
Das Kabinett des Dr. Parnassus ist weit entfernt vom Desaster eines Brothers Grimm und bietet vielerlei Bezauberndes, sowohl im Visuellen als auch in der Lösung der Probleme der Produktion.
Insgesamt bleibt er leider weniger als die Summe seiner Teile. Doch auch wenn Gilliam mit seiner leicht autobiografisch anmutenden Geschichte kein großes Werk erschafft, ist ihm ein im Wortsinne sehenswerter Film gelungen, der sich fraglos vom gängigen Einheitsbrei abhebt.
Felix “Flex” Dencker