Es ist Godzilla, ihr Lappen!
Ende der Neunziger gelang dem Low-Budget-Film Blair Witch Projekt eine kleine Sensation an den Kinokassen durch das, was der Werbende heutzutage “virales Marketing” nennt. Über das Internet verbreitete sich die Kunde, der Film sei reales Material, so dass der Zuschauer sich mit “echtem” Horror konfrontiert glaubte - ein Glücksgriff für jeden Filmschaffenden. Die Macher von Cloverfield perfektionierten dieses Spiel mit der Mundpropaganda, indem sie einen kryptischen Teaser herausgaben, Hinweise im Internet verstreuten und sich ansonsten völlig bedeckt hielten. In den Trailern sah man nur eine von einem der Gäste aufgezeichnete Party in New York, die von einer plötzlichen Explosion aufgeschreckt wird. Ähnlich treibt Produzent J.J. Abrahms bereits in seiner Fernsehserie Lost das Spiel mit dem Zuschauern, indem in den Folgen auf die Theorien im Netz zum großen Ganzen eingegangen wird.
Eine weitere Parallele zwischen Cloverfield und Blair Witch Project ist die Kassette einer Handkamera als einziger Zeuge einer mysteriösen Begebenheit. Diese Perspektive wird konsequent eingehalten, was auch psychologisch auch einigermaßen fundiert ist, da der Kameramann ein tumber Tor ist, dem man durchaus zutraut, weiterzufilmen, während er um sein Leben rennt. Dieser Konsequenz folgt auch ein ungewöhnlicher Aufbau, bei dem sich erst für eine gründliche Etablierung der Charaktere auf der Party Zeit genommen wird, um dann nur noch Raum für rennen, rennen, rennen, sterben zu bieten.
Eine wirklich schöne Idee ist, dass das Katastrophenvideo ein anderes Video überspielt, gewissermaßen die Schicht unterhalb der Oberfläche. In den unpassendsten Situationen kommen auf einmal Fetzen der Liebesgeschichte auf dem Video ans Licht, wie eine Metapher auf das Unbewusste, das auch immer den ungünstigten Zeitpunkt wählt, um hervorzubrechen. Wirklich konsequent ist die Perspektive auch in Bezug auf das Ende und die Informationen, die man über die Bedrohung letztendlich bekommt. Natürlich strapaziert das Drehbuch die Wahrscheinlichkeit, was vier Durchschnittmenschen so alles passieren kann, beweist aber Mut und lässt hier und da einen skurrilen, trockenen Humor aufflackern. Die Atmosphäre ist wirklich beklemmend, besonders zu Beginn, wo von der Bedrohung nur Schemen erkennbar sind - der wahre Horror findet nunmal immer im Kopf statt. Man muss allerdings Menschen, die an Gaming Sickness (Ein Übelkeitsgefühl wird ausgelöst, wenn das Auge Bewegungen sieht, die das Mittelohr nicht wahrnimmt) leiden, dringend vom Kinobesuch abraten. Eine wacklige Handkamera ist einfach nur begrenzt für die große Leinwand geeignet, insofern ist Cloverfield wohl der erste große Actionfilm, dessen prädestiniertes Medium das Fernsehen ist, oder noch besser YouTube, an dessen unmittelbarer Ästhetik sich Cloverfield orientiert. Viel mehr als diese Konzeption eines Actioners aus der Handkameraperspektive hat der Film nicht zu bieten. Die Schauspieler sind vernachlässigbare Gestalten, die ab und zu durchs Bild huschen, und das große Geheimnis, das natürlich längst gelüftet wurde, dürfte niemanden annähernd so Hocker reißen, wie es sich die erhitzte Forenfantasie erhofft hat. So erwartet den einen oder andern Geek, der sich allzu sehr in die Marketingkampagne hat einspannen lassen, eine kalte Dusche.
Wenn man dessen überspannten Erwartungen nicht teilt, so kann man nüchtern betrachtet einen guten, innovativen, untypischen Film sehen. Nicht mehr und nicht weniger.
Sven Ole Leisure Lorence Lorenzen