USA, Großbritannien, 2007
Kinostart: 05.06.2008
Die zwei aus der Arbeiterklasse Londons stammenden Brüder Terry (Colin Farrell) und Ian (Ewan McGregor) sind so unterschiedlich wie man nur sein kann. Ersterer arbeitet als Automechaniker und liebt das Glücksspiel ebenso sehr wie den Whiskey. Letzterer kümmert sich widerwillig um das Familienrestaurant, würde sich jedoch viel lieber nach Kalifornien verziehen, um dort mit Immobiliengeschäften reich zu werden. Als Terry sich durch ein verlorenes Pokerspiel in die Bredouille manövriert, klopfen die verzweifelten Brüder bei ihrem reichen Onkel Howard (Tom Wilkinson) an. Dieser stellt jedoch eine folgenschwere Bedingung für seine Unterstützung: Seine Neffen sollen ihm einen unliebsamen Geschäftspartner aus dem Weg räumen.
Beständig wie ein schweizer Uhrwerk dreht der Stadtneurotiker Woody Allen jedes Jahr mindestens einen Film. Cassandras Traum ist bereits der dritte in Folge, der in England entstanden ist. In vielerlei Hinsicht ähnelt der Streifen Allens letztem größeren Erfolg, Match Point. Dessen Qualität erreicht das zunächst nur für eine direkte Dvd-Veröffentlichung vorgesehene Thrillerdrama aber nie.
Auch diesmal kommen die Protagonisten aus der Arbeiterklasse, wobei sich vor allem Ian zu Höherem berufen fühlt und der festgefahrenen Heimat den Rücken kehren möchte. Und natürlich darf auch diesmal eine, wenn auch keineswegs so zentral wie noch in Match Point angelegte Femme Fatale nicht fehlen. Hayley Atwell hat jedoch weder die schauspielerische Klasse noch den Sexappeal Scarlett Johanssons. Zudem kommt ihre Filmfigur nie über den Status gefälligen Beiwerks hinaus und hat der Schuld-und-Sühne-Tragödie kaum etwas zu geben. Überhaupt zählt das Drehbuch zu den allerschwächsten Werken Allens. Die Geschichte ist furchtbar altbacken, kommt kaum voran und ist dabei völlig frei von Überraschungen. Den eindimensionalen Charakteren werden allzu häufig banale Dialoge in den Mund gelegt, die in ihrer Formluierung selten authentisch wirken. Von den einstigen Großtaten Allens, die vor intelligentem Wortwitz nur so sprühten, ist Cassandras Traum damit meilenweit entfernt.
Die einzigen Lichtblicke am Horizont sind die beiden Hauptdarsteller. Colin Farrell, der bereits in Brügge sehen… und sterben? völlig gegen den Strich besetzt überzeugte, gibt den labilen Loser-Bruder zu jeder Zeit glaubwürdig. Ihm hätte man durchaus auch mehr Leinwandzeit mit seiner sympathisch agierenden Filmpartnerin Sally Hawkins (Happy-Go-Lucky) gewünscht. Ewan McGregor beweist einmal mehr seine Wandlungsfähigkeit und verleiht dem leidenschaftlichen Schönredner Ian ein Profil, das ihm das Drehbuch offenbar nicht zugestehen wollte. Über den Eindruck, ein gleichermaßen lust- wie ideenloses Zwischendurchwerk Allens vorgesetzt zu bekommen, können aber auch deren Leistungen nicht hinwegtäuschen.
Fazit: Wer ein ungleiches Brüderpaar in ähnlich fataler Lage, jedoch in ungleich spannender und facettenreicher Umsetzung beobachten möchte, sollte Sidney Lumets großartigen Tödliche Entscheidung - Before the Devil Knows You’re Dead sichten und auf Woody Allens todlangweiligen Cassandras Traum verzichten.
Michael “Eminence” Reisner