Großbritannien, 2007 Kinostart: 07.05.2009
Der Zeitreisende
Spider Robinson schrieb einmal, wir alle seien Zeitreisende - wir bewegen uns mit einer Geschwindigkeit von einer Sekunde pro Sekunde vorwärts. Eric (Andrew Garfield) hat 14 Jahre Zeitreise hinter sich und erwacht in einer Welt, die ihn überfordert. Mit 10 Jahren wurden er und sein Freund Phillip wegen Mordes verurteilt. Phillip starb im Gefängnis, Eric versucht nun, sich unter einer neuen Identität als Jack ein neues Leben aufzubauen. Eine Weile lang geht das auch gut. Sein Sozialarbeiter Terry (Peter Mullan) ist davon überzeugt, dass er sich geändert hat und kümmert sich väterlich um ihn. Bei seinem Job in einem Post-Unternehmen in Manchester freundet der schüchterne Jack sich mit zwei Kollegen an und verliebt sich in die Sekretärin Michelle (Katie Lyons). Doch die Vergangenheit lässt ihn nicht los, immer wieder plagen ihn Albträume von der Tat. Terry mahnt ihn, niemandem sein dunkles Geheimnis zu offenbaren, doch die Schuld wiegt schwer. Und auch die Presse hat Wind davon bekommen, dass der Junge, den sie vor 14 Jahren als die Inkarnation des Bösen brandmarkte, wieder auf freiem Fuß ist.
Phillipe Claudels Film So viele Jahre liebe ich dich erzählte die Geschichte einer Frau, die nach 15 Jahren aus dem Gefängnis entlassen wird und im Kreis der Familie Halt zu finden versucht. Um Vergebung sollte es gehen, doch eine feige letzte Wendung entlarvte das Geschehen als belangloses Melodram. John Crowleys Boy A nähert sich dem Thema ehrlich und mutig. Der Film ist eine Adaption von Jonathan Trigells Roman, der wiederum vom Mord an James Bulger inspiriert wurde, den zwei Zehnjährige 1993 in England begangen, kurz vor seinem dritten Geburtstag. Einige Details wurden geändert, z.B. war der Mord im Film keine geplante Aktion, sondern eine Kurzschlusshandlung, und das Opfer ist hier ein etwa gleichaltriges Mädchen. Doch es geht weniger um die Tat als vielmehr um die Folgen. Es geht um die Frage, ob und wie man mit einer derartigen Schuld leben kann. Ob eine solche Tat jemals vergeben werden kann und soll, sowohl von den Betroffenen als auch von der Öffentlichkeit. Ob eine gute Tat eine böse aufwiegen kann. Und auch um die Rolle der Boulevard-Presse, die ihr Geld damit verdient, solche Fälle weiter aufzubauschen, Jahre später wieder hervorzukramen und allen Beteiligten das Leben zur Hölle zu machen. Crowley erzählt diese vielschichtige Geschichte mit erstaunlichem Understatement. Ein bisschen Geduld muss der Zuschauer mitbringen, doch es lohnt sich. Garfield spielt Jack sichtbar von der permanenten Angst gelähmt, erneut einen Fehler zu begehen. Es ist eine intensive Vorstellung, die ihm die Sympathie des Publikums und den Glauben sichert, dass Jack diese zweite Chance verdient hat. Crowley vermeidet jedoch, allzu deutlich Stellung zu beziehen und lässt jede Menge Raum für Diskussion offen.
Boy A ist ein eindringliches Drama, das seine komplexe Thematik mühelos transportiert, ohne sich mit einfachen Antworten aus der Affäre zu ziehen. Sehr, sehr schön.
Felix “Flex” Dencker