Deutschland, 2005
Kinostart 31.08.2005
Die Filmstarts dieser Woche präsentieren sich ganz eindeutig in himmelblau und rosa: Hier das Mädchen aus dem Wasser, dort Little Man. Between The Lines hingegen, der Name deutet es an, taucht dokumentarisch ein in die Welt eines dritten Geschlechts, nämlich jenes der indischen Eunuchen, der Hijras. Nach mehreren erfolgreichen Festivalteilnahmen schafft es Thomas Wartmanns Dokumentation auch regulär in die deutschen Kinos.
Eine merkwürdige Person wandelt, in ihre Hände klatschend, über den Strand von Bombay, mit bewusst runder Bewegung zieht sie zwischen erholungssuchenden Familien, jungen Pärchen umher, betet in einem raschen Singsang um Fruchtbarkeit und Gesundheit und bittet schließlich um Lohn für den Segen. Wer nicht zahlt, wird in wütendem Gezeter verflucht. Auch wenn die Kamera sich ihm nähert, bleibt dieser Mensch wenig fassbar: Das verlebte Gesicht und die Stimme eines Mannes, Gesten, Mimik, Kleider einer Frau - Asha ist eine Hijra. Sie ist die erste von dreien, die in Between The Lines vorgestellt werden, und von allen die ungreifbarste: Ihr halbes Leben war sie Prostituierte, nun lebt sie, gezeichnet und drogenabhängig, auf der Straße. Sie hat die dunkle Seite einer Welt erlebt, in der Kastration als Neugeburt gilt, hat Ausgrenzung und soziale Abhängigkeit erfahren. Rhamba und Laxmi hingegen genießen ihre Sonderstellung. Laxmi, biologisch seit jeher ein Mann, bildet gar Hijras aus, führt ihre Schülerinnen in Gebräuche und Regeln der verschworenen Gemeinschaft ein und arbeitet als Tänzerin und - als Mann Raju - als Choreograph. Laxmi redet sehr offen über das Hijra-Sein, über Sex ebenso wie über die indische Gesellschaft, zu der sie nur halb gehört. Rhamba hingegen ist verliebt, sie freut sich auf die Hochzeit mit ihrem Verlobten. Schon im Alter von zehn Jahren kastriert, lebt sie, heute als Zwanzigjährige in einem Tempel vom Betteln und dem Fruchtbarkeitssegen, der den Hijras zugesprochen wird. Diese drei Personen stehen im Mittelpunkt des Dokufilms, dessen Rhythmus ganz wesentlich vom Klang des permanenten Klatschens bestimmt ist, dem Markenzeichen der Hijras, das, wie Rhamba erläutert, das Aufeinandertreffen menschlicher Körper beim Sex nachbildet.
Es ist eine fremde Welt im Dazwischen, in die der Zuschauer gezogen wird. Zentrale Bezugsperson für die westlichen Augen ist dabei die indische Fotografin Anita Khemka, eine emanzipierte Frau in einem Land im Wandel, der Thomas Riedelsheimers Kamera bei ihrer Arbeit und Gesprächen über die Schulter schaut. Ihr gelingt, was dem Regisseur, der ausdrücklich keinen erklärenden Film “mit allwissendem Kommentar” machen wollte, wohl verwehrt geblieben wäre: In die Seele der Hijras zu blicken, ganz ohne Voyeurismus und Sensationsgier. Das Ergebnis ist ein Film, der, anders auch als viele Dokumentationen, das interessierte Publikum nicht befriedigt zurücklässt, sondern vielmehr herausfordert: Ein drittes Geschlecht, das Denken eines Seins zwischen Mann und Frau (und eben nicht das typisch westliche Transsexuelle, das Phänomen eines “im falschen Körpers geboren”-Seins), die Überwindung der biologischen Limitierung, die in der indischen Gesellschaft seit Jahrhunderten praktiziert wird (freilich ohne, dass damit eine tatsächliche Überwindung der sozialen einhergeht), lässt nicht los und stellt eine Frage - gerade auch für unseren westlichen, geschlechtlich eindeutig geprägten Alltag - über den Film hinaus.
Steffen Greiner