USA/Mexico, 2006
Kinostart: 21.12.2006
Ein Turm von einem Film [besserer Titel benötigt]
Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe! (Genesis 11.7)
Wenn man das bisherige Werk des mexikanischen Regisseurs Alejandro González Iñárritu auf einen Nenner bringen möchte, so ist dieser: Schicksal. Bereits in Amores Perros und 21 Gramm zeigte er, wie eine äußere Ursache das Leben der Protagonisten umkrempelte. Beide Male war dieser Auslöser ein Autounfall, dieses Mal ist es ein Schuss.
Zwei Hirtenjungen in Marokko schießen aus Jux auf einen Reisebus und treffen eine Amerikanerin. Ihr Ehemann muss hilflos zusehen, wie sie in einem archaischen Berberdorf ohne medizinische Versorgung langsam ausblutet. Der Vorfall verhindert die rechtzeitige Rückkehr des Paares nach Amerika, so dass das Kindermädchen die ihr anvertrauten Sprösslinge mit nach Mexiko zu der Hochzeit ihres Sohnes nimmt. In Japan wiederum soll der erste Besitzer des Gewehres wegen seiner Verbindung zum vermeintlichen Terroranschlag befragt werden, der Polizist trifft aber zunächst nur auf die taubstumme, isolierte Tochter.
Die vier Erzählstränge laufen parallel ab, so dass man der Verzweiflung des Ehemanns bewohnt, während die Berberjungen schon verfolgt werden und sich auch der Polizeiapparat im fernen Japan in Gang gesetzt hat. Dieses Verfahren, das in 21 Gramm noch verwirrte und dem Film ein wenig seine Wucht nahm, hat Iñárritu in Babel perfektioniert, so dass vier Worst-Case-Szenarien den Betrachter simultan überrollen. Das Ergebnis ist eine bleischwere, 142minütige Reflexion über gescheiterte Kommunikation in all ihren Formen. Neben den Sprachproblemen, die die Anspielung auf den Turmbau zu Babel im Titel suggeriert, geht es auch um die Missverständnisse, die aus rassistischen Vorurteilen resultieren. Das mexikanische Kindermädchen spricht Englisch, der Grenzpolizist hört ihr jedoch nicht richtig zu. Darüber hinaus liegt auch in den Familien einiges im Argen, jede der vier Geschichten thematisiert eine Eltern-Kind-Beziehung: Der Berber, der seinen Kindern ein Gewehr in die Hand drückt; die vom Selbstmord der Mutter traumatisierte Taubstumme, die Hilfeschreie an die Welt aussendet, ohne dass jemand davon Notiz nähme. Auch das amerikanische Ehepaar hat sich nicht mehr viel zu sagen. Und in dem Moment, wo Verständnis und Versöhnung möglich scheinen, schlägt das Schicksal unbarmherzig zu. Besonders subtil ist das Vorgehen Iñárritus nicht. Gerade beim Mexiko-Kapitel ist das schade, da das Abtauchen der amerikanischen Wohlstandskinder in eine fremdartige Kultur schon für sich, ohne anschließende Höllenfahrt interessant wäre. Sein Ausnahmetalent offenbart Iñárritu durch die Art, wie er die Atmosphäre der drei Kontinente, in denen Babel spielt, einzufangen weiß. Einerseits geschieht dies durch Drehen an den Originalschauplätzen, andererseits mit Hilfe des abwechslungsreichen und stimmungsvollen Soundtracks des diesjährigen Oscargewinners Gustavo Santaolalla (Brokeback Mountain). So entfaltet sich Tokio im Konstrast zu den kargen Landschaften in Marokko und Mexiko zu einer exotischen, aber kalten Blume. Die beiden Aushängeschilder des Films, Brad Pitt und Cate Blanchett verschwinden mit ihren eher passiven Parts in einer großen, sehr guten Schauspielriege. Rinko Kikuchi als einsame, taubstumme Japanerin auf der Suche nach Anschluss überzeugt völlig in dieser schwierigsten Rolle des Films. Gael García Bernal, der Iñárritus Erstling Amores Perros seinen Durchbruch verdankt, glänzt ebenfalls in einer kleinen, aber feinen Nebenrolle.
Letztendlich ist Babel ein schwieriger, mutiger, sperriger Film, dem man von Herzen ein großes Publikum wünscht.
Sven Ole Leisure Lorence Lorenzen