USA, 2006
Kinostart: 14.12.2006

Mel Gibson ist immer wieder für eine Überraschung gut. Im Falle von Apocalypto ist es jedoch eine altbekannte, nämlich die, dass er sich zu einem detailverliebten, passionierten und effektiven Filmemacher gemausert hat.

Angesiedelt in der im Untergang begriffenen Hochkultur der Mayas, erzählt der Film die Geschichte von Pranke des Jaguars, einem jungen Mann, dessen Dorf von Fremden aus einer entfernten Stadt überfallen wird. Bevor er mit einigen anderen verschleppt wird, bringt er seine hochschwangere Frau sowie seinen Erstgeborenen in Sicherheit und verspricht, zu ihnen zurückzukehren.

Die beschwerliche Reise, das Schicksal, das die Männer und Frauen an ihrem Ziel erwartet, sowie Pranke des Jaguars´ Bemühen, sein Versprechen einzuhalten, entführen den Zuschauer in eine Welt, die er so noch nie zu Gesicht bekommen hat. Vom stillen Dorf im Wald über den Gulag der Steinbrüche bis hin zur großen Stadt voller umwerfender Kostüme und atemberaubender Masken, alles wirkt fremdartig und authentisch, bleibt aber im Detail stets menschlich und verständlich. Der Niedergang der Maya-Kultur, der bis heute nicht wirklich aufgeklärt wurde, dient Gibson als Basis für ein Gleichnis über den nahenden Untergang der letzten großen Supermacht unserer Zeit. Bemerkenswert ist dabei, dass die überall sichtbaren Anzeichen, seien es Krankheiten, Hungersnöte, die Verachtung sowohl der Natur als auch anderer Menschen, größtenteils beiläufig eingestreut werden, anstatt permanent mit der groben Kelle ausgeteilt zu werden, wie es in historische Epen gerne passiert. Der Fokus der Geschichte liegt nicht auf einem Herrscher, dessen Hochmut sein Volk dem Untergang weiht. Gibson zeigt das Fußvolk, das vom letzten großen Aufbäumen der sterbenden Kultur mitgerissen wird. Dabei beschränkt er sich nicht einmal auf die Dorfbewohner, die er im ersten Akt überraschend humorvoll einführt, und ihre Peiniger, denen er zumindest teilweise noch eine menschliche - wohlgemerkt nicht menschelnde - Note abringt. Die Königsfamilie beispielsweise besteht nicht nur aus dem degenierten Monarchen und seiner ätherisch wirkenden Frau, sondern auch aus einer von den permanenten Menschenopfern offensichtlich gelangweilten Tochter und einem kleinen Sohn, der seiner Mutter am Rockzipfel zieht, um auch mal ein wenig Aufmerksamkeit zu bekommen - und von ihr rüde zurückgewiesen wird. Das soll nicht heißen, dass irgendetwas verharmlost wird. Die unfassbare Brutalität, die auf allen Seiten als akzeptables Mittel zum Zweck angesehen wird, bringt erstaunliche Mengen an Blut und einen Leichenberg mit sich, der für mehrere Kriegsfilme aureichen würde. Auch wenn er an der einen oder anderen Stelle nah herankommt, lässt Gibson die Figuren, so krass sie auch agieren, nie zu Karikaturen oder Stereotypen werden. Behilflich dabei sind ihm die umwerfenden Schauspieler. Die zum großen Teil unerfahrenen Darsteller, die ihre Rollen im Maya-Dialekt Yucatec sprechen, bringen eine Ehrlichkeit und Spielfreude mit, die Gibsons Welt ein weiteres Stück dichter werden lässt. Der charismatische Rudy Youngblood erweist sich als Glücksgriff für die Rolle des Pranke des Jaguars, ebenso wie sein wundervoll hassenswerter Gegenspieler Giftige Schlange (Rodolfo Palacios). Beide werden jedoch chancenlos in den Schatten gestellt von Raoul Trujillo, der den Anführer der feindlichen Holcane-Krieger, Leitwolf spielt. Mit einem Gesicht wie Yul Brynner sowie Arm- und Kopfschmuck aus menschlichen und tierischen Schädeln könnte er schnurstracks in einen neuen Mad-Max-Film marschieren und den dort ansässigen Schluffis zeigen wo der Hammer hängt. Im dritten Akt wird Apocalypto dann auch endgültig zum Actionfilm, als Leitwolf und seine Mannen Pranke des Jaguars durch das Dickicht jagen. Dieses Stück ist so knackig inszeniert und schlichtweg sauspannend, dass sich die Kinokarte allein dafür schon lohnt.

Ein paar negative Seiten möchte ich jedoch nicht verschweigen. Der digitale Look des Films hat mir überhaupt nicht gefallen. Gibson schafft einige beeindruckende Einstellungen, doch im Großen und Ganzen wirkt die Optik im Vergleich zu Filmen wie The New World geradezu Tv-mäßig und nimmt dem Film einiges an Kraft - wirklich schade. Darüber hinaus erlaubt sich Gibson einige Patzer, die den Film zwar nicht zu Fall bringen, aber doch gelegentlich straucheln lassen. Auch wenn er den Großteil des Films souverän in Szene gesetzt hat, überschätzte er sich an einigen Stellen ganz einfach. So wird es beispielsweise gleich in der ersten Einstellung, einer langsamen Kamerfahrt auf ein Gebüsch, niemanden überraschen, wenn die Stille jäh durchbrochen wird, auch wenn es offensichtlich so geplant war. Auch das Ende hat leider nicht die ironische Wucht, die es haben sollte. Dass der Überraschungseffekt verpufft, kann man allerdings kaum Regisseur Gibson in die Schuhe schieben, sondern der Pr-Maschinerie, die schlicht und ergreifend zu sehr drauf herumgeritten ist.

Wer den Magen für die brutaleren Szenen mitbringt und sich darauf einlassen kann, einen ganzen - wenn auch nicht gerade dialoglastigen - Film mit Untertiteln anzusehen, der sollte Apocalypto definitiv eine Chance geben. Denn trotz seiner Schwächen ist Mel Gibsons neuer Film unbestreitbar ein einzigartiges Erlebnis geworden.

Felix Flex” Dencker