USA, 1995
Mitte der 90er Jahre.
Die Big-Budget-Welle ist nicht mehr zu bremsen, Hollywood funktioniert nach genau drei Prinzipien: Lauter, teurer, trivialer. Zu diesem Zeitpunkt hat noch niemand die Nase voll vom künstlerischen Simplizissimus, und so haben es kleine, leise Filme schwer, die nicht mit dem Namen Quentin Tarantino im Vorspann aufwarten können.
So auch Heavy, das Debut von Autor und Regisseur James Mangold.
“Heavy”, schwer, bezeichnet nicht nur den Gemütszustand von Belegschaft und Stammgästen in “Pete & Dolly´s”, einem kleinen Restaurant an einer unwichtigen Landstraße im Hudson Valley. Es beschreibt auch die äußere Erscheinung von Victor, dem übergewichtigen und unterforderten Koch. Der Film beginnt als Victors Mutter Dolly eine junge, hübsche Kellnerin einstellt, die den Laden kräftig durcheinander bringt.
Wirklich viel passiert eigentlich nicht während der 104 Minuten. Callie, die Neue, lässt sich von ihrem Freund herumschubsen, der sie vermutlich geschwängert hat, und gibt Victor immer wieder Grund, sich unglücklich zu verlieben. Dolly, die sich mit diversen Krankheiten herumschlagen muss, liefert sich ihren schon 15 Jahre währenden Streit mit Kellnerin Delores, der alteingesessenen Ex-Schönheit. Die wiederum beobachtet argwöhnisch die unbeschwerte Callie, der die männlichen Gäste die Blicke zuwerfen, die einst Delores galten.
Hoffnung und Verzweiflung gehen Hand in Hand, tragen, bedingen einander. Wenn Victor ein Photo von Callie an seinen Kühlschrank hängt, weiß er genau, dass eine Beziehung mit ihr höchstens in seiner Phantasie stattfinden kann. Gleichzeitig weiß Callie im Grunde ihres Herzens vermutlich, dass er die bessere Wahl für sie wäre als Jeff, der sie wohl etwas weniger liebt als sein Auto. Und so gehen diese Figuren ihren Weg, klammern sich an ferne Erinnerungen und vage Hoffnungen, geben sich Illusionen hin und verlieren diese wieder aus den Augen.
Der Mangel an Kommunikation ist ein zentraler, wenn auch bezeichnenderweise unartikulierter Punkt des Films. So viele Konflikte in der Vergangenheit hätten gelöst werden können, so viel Schmerz könnte vermieden werden, würde nur jemand die richtigen Worte finden und vor allem aussprechen. Doch für diese Menschen ist die Angst, verletzt oder abgewiesen zu werden, zur Gewohnheit geworden, und so schweigen sie einander an und tun so, als spürten sie den brummenden Schmerz nicht mehr. Warum miteinander reden, man weiß ja sowieso alles über einander.
Diese Gattung Film steht und fällt mit den Schauspielern, und Heavy bildet da keine Ausnahme. Pruitt Taylor Vince, der ein Jahr zuvor in einer kleinen Rolle in Nobody´s Fool auf sich aufmerksam gemacht hatte, einen Darsteller zu nennen, wäre eine Beleidigung. Vince verkörpert Victor so herzerweichend hilflos und unschuldig, dass man gar nicht anders kann, als auf die Erfüllung seiner Träume zu hoffen, seien sie noch so utopisch. Shelley Winters als Dolly und Deborah Harry als Delores begeistern ebenfalls mit ihrem bodenständigen und ehrlichen Spiel und auch Liv Tyler, die die meiste Zeit durch ihr Äußeres punktet, hat ihre Momente.
Es ist ein Privileg des Independentfilms, derartige Figuren wirklichkeitsnah entwickeln zu können. Mangold erlaubt nicht nur das unausweichliche Zertrampeln von Victors Herz, sondern auch ein Ende, das sich dann doch noch einen kleinen Schritt weiter wagt.
100 Minuten Melancholie, mit einem winzigen Hoffnungsschimmer am Ende - derzeit läuft Trennung mit Hindernissen im Kino, sozusagen die Mainstream-Hollywood-Version, und unterstreicht überdeutlich, wie unerträglich ein solcher Film werden kann. Während sich dort leblose, von Vince Vaughn und Jennifer Aniston tagesaktuell verkörperte Klischees völlig überzogene Streits liefern, die schlussendlich in ein aufgesetztes Quasi-Happy-End münden, wird Heavy von authentischen Figuren getragen, die sich anfühlen als steckten wahrlich Jahre des desillusionierten vor-sich-hin-lebens in ihnen.
Heavy ist somit sicherlich nicht jedermanns Geschmack. James Mangolds kompromissloser Umgang mit seinen Figuren wird den einen oder anderen schmerzlich an Episoden des eigenen Lebens erinnern, die man eigentlich lieber vergessen wollte. Wer sich noch auf diese Art Geschichte einzulassen vermag, der wird dafür mit einem echten Juwel des Gefühlskinos belohnt.
Felix “Flex” Dencker