Originaltitel: Doubt
USA 2008
Im Zweifel gegen den Angeklagten
1964, St. Nicholas in der Bronx. Die herrische Direktorin, Schwester Aloysius Beauvier (Meryl Streep), führt die Schule mit eiserner Hand. Disziplin wird groß geschrieben, Neuzeitliches - wenn überhaupt - nur mit großem Missfallen geduldet. Der charismatische Pater Flynn (Philip Seymour Hoffman) ist aber aus gänzlich anderem Holz geschnitzt und möchte als Bote einer moderneren, weltoffenen Kirche verstanden werden, die auf ihre Schäfchen eingeht und aktiv Lebensfreude stiftet. Donald Miller, dem ersten schwarzen Schüler an der St. Nicholas, widmet er auch privat besonders viel Aufmerksamkeit. Als die naive junge Schwester James (Amy Adams) der Direktorin von ihren Bedenken diesbezüglich berichtet, startet Schwester Aloysius einen erbitterten Kreuzzug, um Flynn von der Schule zu vertreiben.
John Patrick Shanley, dessen letzte Kino-Regiearbeit Joe gegen den Vulkan satte 18 Jahre zurückliegt, hat mit Glaubensfrage sein mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnetes Broadway-Stück selbst für die Leinwand adaptiert. Selten zuvor war die Bezeichnung “Ensembledrama” zutreffender als hier: Shanley verlässt sich in seiner aufs Wesentliche reduzierten Inszenierung vollends auf seine überragenden Darsteller, die in mitunter kammerspielartiger Atmosphäre ihre derzeitige Ausnahmestellung zementieren. Die Besetzung von Amy Adams (Junebug, Verwünscht) als naives, gutherziges Küken ist ohnehin eine wenig überraschende Punktlandung. Viola Davis, die seit ihren Theatererfolgen hauptsächlich in Nebenrollen - sowohl im Tv als auch im Kino - zu sehen war, empfiehlt sich mit ihrem beeindruckenden Auftritt als Mutter des “Zankapfels” Donald Miller für höhere Aufgaben. Über beiden thronen Philip Seymour Hoffman und Meryl Streep, die abermals nachhaltig unter Beweis stellen, dass es wohl kaum Rollen gibt, welche sie nicht in absoluter Perfektion spielen können. Streep hat, im Vergleich zu Hoffmans klarer gezeichnetem Filmcharakter, den Bonus der ambivalenteren Figur und fungiert zudem als Dreh- und Angelpunkt für die Geschichte, deren idiologischer Überbau nicht nur spielend leicht auf die heutige Zeit übertragbar, sondern auch wesentlich vielfältiger ist, als es auf den ersten Blick erscheinen könnte. Die vordergründigen Themen wie etwa die Säkularisierungsdebatte innerhalb der Kirche oder auch die psychologischen Mechanismen bei der Austragung von Konflikten münden ins einfach formulierte Dilemma “Zweifel an Bestehendem bei gleichzeitiger Angst vor Neuem” - in unserer globalisierten Welt brandaktueller denn je.
Trotz der brillianten Darstellerleistungen und der interessanten Motivik kommt Glaubensfrage aber nicht ohne Längen oder erzählerische Schwächen aus. Das biedere Setting, das bis zum Exzess betriebene “Sich-bedeckt-halten” und ein unnötiger Mini-Plot-Twist gegen Ende lassen die oft kopflastig daherkommende Chose zeitweilig zum Geduldsspiel werden.
Nichtsdestotrotz eine dicke Empfehlung für Freunde intelligenter Dramenkost.
Michael “Eminence” Reisner