Kinostart: 01.03.2007
Richard Linklater kam einen weiten Weg. Anfang der 90er schuf er mit Slacker, Dazed and Confused und nicht zuletzt Before Sunrise drei wegbereitende Filme für das unabhängige Us-Kino. Seitdem bemüht er sich jedoch zunehmend um das kommerzielle Kino, um seinen Ideen, die sich oft und gern in visuellen oder narrativen Experimenten äußern, eine finanzkräftigere Grundlage zu verschaffen.
Linklater versammelt in Fast Food Nation einmal mehr ein großes, namhaftes Ensemble, zu dem unter anderem Greg Kinnear, Catalina Sandino Moreno, Bruce Willis, Kris Kristofferson und Ethan Hawke gehören, der bereits in seiner fünften Linklater-Produktion zu sehen ist.
Episodisch alternierend werden die Geschichten ihrer Charaktere erzählt, ihre Positionen herausgestellt und in Beziehung zueinander gesetzt. Das Bindeglied der Handlungsstränge ist der “Big One”, ein Burger, in dem Spuren von Rinderkot gefunden wurden. So betreibt ein Vorstandsmitglied der betroffenen Fast-Food-Kette Ursachenforschung in der zuständigen Fleischverarbeitungsfabrik nahe der mexikanischen Grenze, wo die Geschichte der illegalen Einwanderer Sylvia und Raul einsetzt, die ihr Glück im fremden Land suchen und in eben jener Fabrik Arbeit finden. Ein dritter Handlungsstrang verfolgt die Angestellte einer örtlichen Filiale die ihrem Arbeitsplatz dem Rücken kehrt und sich im Tier- und Umweltschutz engagiert, den die Fast Food-Kette ebenso ignoriert wie das Arbeits- und Menschenrecht.
So finden sich in jeder dieser parallelen Handlungen eigene interne Konflikte, die herausgearbeitet und im größeren Kontext eingebettet werden. Dies lässt zwar durchaus Spielraum für Interpretationen, bedeutet jedoch nicht, dass sich Fast Food Nation einer Meinung enthält oder gar den Anschein der Objektivität wecken will - im Gegenteil: Jede der Gruppen kriegt in Linklaters Rundumschlag ihr Fett weg: Die Konzerne, die Aktivisten, die Angestellten. Die getroffenen Aussagen stehen für sich, in ihrer Tragik wie in ihrer Idiotie, und bereiten den Weg für ein schonungsloses, bestechend emotionsfrei fotografiertes Finale. Während ein solch drastischer Abschluss gänzlich untypisch für Richard Linklater ist, trägt die restliche Inszenierung deutlich seine Handschrift: An vorderster Front die stets verfolgende Kamera, die einen Blick auf individuelle Handlungen und gesellschaftliche Strukturen wirft, organisierte Abläufe und Zusammenhänge aufzeigt und auch die Kuriositäten am Rande
berücksichtigt.
Linklater fragt nach der Veränderbarkeit der Verhältnisse, nach der Verantwortung des Einzelnen und thematisiert immer wieder ethische und moralische Konflikte zwischen Individuum und allmächtiger Konzern-Maschinerie. Einziger, aber bedeutender Kritikpunkt hierbei: Die Umsetzung dieser interessanten bis lobenswerten Absichten geriet etwas zu oberflächlich und offensichtlich. So errichtet Linklater ein bewusst parteiisches Konstrukt aus gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ideellen Umständen und Zusammenhängen, die die Missstände in einer kaputten Welt anhand einer simplen Moral aufzeigen.
Dies steht leider symptomatisch für den Film: Fast Food Nation ist halb Satire, halb Drama und leider ist beides nicht richtig gar. In Kombination mit der bedachten, aber sehr ruhigen Inszenierung dürfte dieser mangelnde Überraschungseffekt das Filmerlebnis insbesondere für diejenigen trüben, die in Sachen Us-Fast-Food-Kultur ohnehin durch nichts mehr zu schocken sind. Was am Ende bleibt, ist ein ohne Frage interessanter, aber etwas zu offensichtlicher filmischer Rundumschlag als Vehikel einer bitteren Botschaft. Definitiv nichts für einen gemütlichen Kinoabend.
Christian Simon