USA, 2005
Kinostart: 25.01.2007
2001 ereignete sich, überschattet vom 11. September, einer der größten Wirtschaftsskandale in der Geschichte der USA.
Der riesige Energiekonzern Enron ging bankrott, zehntausende Menschen verloren ihre Arbeit und all ihre Altersrücklagen, während sich das Management massiven Vorwürfen wie dem des Betruges und der gewissenlosen Eigenbereicherung ausgesetzt sah. Die dazugehörigen Prozesse endeten letztes Jahr mit hohen Haftstrafen.
Nun kommt hierzulande ein Dokumentarfilm in die Kinos, der den Aufstieg und Fall des Konzerns und seiner Piloten minutiös nachzeichnet und der Frage nachgeht: “Sind hier nur einige böse Menschen am Werk gewesen, oder verrät Enrons Geschichte etwas über die dunkle Seite des amerikanischen Traums?”
Explizit wird sie nie beantwortet, aber natürlich handelt es sich bei dem Fall Enron um ein universelles Lehrstück über Größenwahn und Korruption. Das ist gut so, schließlich hätten wir ansonsten keinerlei Grund, den Film zu besuchen, und müssten uns ein Sahnestück des Dokumentarfilmgenres entgehen lassen.
Einen guten Dokumentarfilm zeichnet aus, dass er komplexe Sachverhalte in eine allgemeinverständliche Bildsprache übersetzen kann, ohne zum Propagandafilm abzugleiten. Enron schafft diesen Spagat, was natürlich kein Grund ist, das dem Film zugrunde liegende gleichnamige Buch von Bethany McLean Peter Elkind bei tiefergehenden Interesse nicht heranzuziehen. Die Protagonisten werden nicht dämonisiert, wie es ein Moorescher Manichäismus geböte, damit sich die Gegenseite als vermeintliche Stimme des Volkes gerieren kann. Stattdessen werden die Handelnden in einen größeren politischen Kontext eingebettet: Die massive Deregulierungspolitik der Reagan-Ära und ihre Fortführung durch die Bush-Familie. Das Mantra dieser Politik ist der selbstregulierende Markt, auch oft als unsichtbare Hand beschworen. Wenn alle ihr Eigeninteresse verfolgen, werde das Allgemeininteresse am Besten gefördert. Wie Enron diesen Traum desavouiert, ist ebenso überzeugend wie verstörend: Im Jahr
2000 ließen die Energiekonzerne immer wieder Kraftwerke in Kalifornien abschalten, so dass das Versorgungsnetz zusammenbrach und das künstlich verknappte Gut Energie zu explodierenden Preisen verkauft werden konnte.
Die Bilder der Opfer dieser Stromausfälle, die im Fahrstuhl eingesperrt waren oder durch ausgefallene Ampeln Verkehrsunfälle produzierten, werden in Enron mit den aufgezeichneten Telefongesprächen der Stromspekulanten unterlegt, die das Leid der Bevölkerung und ihre eigenen Gewinne in einen Freudentaumel versetzt. Der Gipfel des Zynismus ist erreicht, als Enron-Ceo Jeff Skilling die Ereignisse nutzt, um weitere Deregulierung einzufordern. Der demokratische Gouverneur Gray Davis stolpert über die Energiekrise und macht Platz für den republikanischen Governator Schwarzenegger. So gehen in dieser Tragödie Wirtschaft und Politik Hand in Hand. Ein von Bush Jr. auf den Weg gebrachtes Gesetz erlaubt es Enron, zukünftig prognostizierte Gewinne als de facto Gewinne zu verzeichnen. Gleichzeitig werden Verluste an ein kompliziertes Gewirr an Tochterfirmen delegiert, so dass die Aktie eines Unternehmen, das in Wahrheit ein Pleiteprojekt an ein anderes reiht, einen grandiosen Höhenflug
hinlegt. Dies funktioniert dank eines Systems, das auf der einen Seite hemmungslose Selbstbereicherung unterstützt, auf der anderen aber jede Verfolgung des Firmenmottos Ask why! in Form kritischen Nachfragens als unamerikanisch und kommunistisch brandmarkt. Enron hätte nicht funktionieren können, wenn nicht Politiker, Wirtschaftsjournalisten, Analysten, Banken und Wirtschaftsprüfer jederzeit willige Helfer eines Konzerns in der Hand von Spekulanten und Glückspielern gewesen wären und den unvermeidlichen Sturz so lange herauszögerten, bis er für einen der größten amerikanischen Konzerne tödlich war.
Die großen Verlierer dieses Filzes waren die Beschäftigten, deren Rentenfonds eingefroren blieben, bis sie nicht mehr das Papier wert waren, auf dem sie gedruckt waren, während der Vorstand seine Anteile auf dem Höhepunkt veräußerte.
Geschichte ist einfach: Wer aus Fehlern nicht lernt, muss sie wiederholen.
Vor dem Hintergrund, dass die Eu just Strafen wegen Kartellbildung an die hiesigen Energiekonzerne verhängt hat, hat dieses vermeintlich uramerikanische Ereignis auch hierzulande Aktualität.
Das von Alex Gibney unter erschwerten Bedingungen zusammengetragene Material - weder die Justiz hatte Interesse, ein schwebendes Verfahren zu gefährden, noch wollten die Angeklagten ihre schmutzige Wäsche auszustellen - enthält weder einen Michael Moore, der sich nackt an eine Litfasssäule kettet, noch (bis auf eine unrühmliche Maßnahme) überflüssige nachgestellte Szenen, sondern bietet altmodisches, meinungsstarkes Dokumentarkino.
Vielen Dank dafür.
Sven Ole “Leisure Lorence” Lorenzen