Mit Auf der anderen Seite setzt Fatih Akin seine lose Trilogie “Liebe, Tod und Teufel” fort. Der Regisseur zeichnet auch diesmal für das Drehbuch verantwortlich. Für einige Schlüsselszenen übernimmt er Motive, die schon aus Gegen die Wand bekannt sind: Zufällige Ereignisse, Kurzschlussreaktionen, Handlungen im Affekt, die große Ereignisse in Gang setzen. Selbst der Tod hat für sich genommen keinen Sinn, entspringt aus Belanglosigkeiten. Doch bei Akin steht jeder Schicksalsschlag auch für einen Aufbruch, der den Protagonisten nicht nur die Möglichkeit einer neuen Sinnkonstruktion ermöglicht, sondern sie geradezu erzwingt.
Während sich Gegen die Wand ganz auf die “scheinbare Scheinbeziehung” zweier Menschen konzentriert, erzählt Auf der anderen Seite in einzelnen Episoden von unterschiedlichen Schicksalen. Die Türkin Yeter (Nursel Koese) arbeitet in Deutschland als Prostituierte. Sie verheimlicht ihre Herkunft - wie man erfährt aus guten Gründen - doch den verwitweten Rentner Ali Aksu (Tunel Kurtiz) kann sie nicht täuschen. Er überredet sie, bei ihm einzuziehen und so lernt Yeter auch seinen Sohn Nejat (Baki Davrak) kennen.
Die frühe Einblendung “Yeter’s Tod” macht klar, dass es Akin nicht auf oberflächliche Spannung ankommt. Vielmehr entwickeln Akins Filme ihre Dynamik aus dem, was zwischen den bloßen Ereignissen liegt. Nejat, der als Germanistikprofessor an einer deutschen Uni lehrt, erfährt, dass Yeter eine Tochter in der Türkei hat. Als Yeter auf tragische Weise umkommt, fliegt Nejat in die Türkei - auch um ihre Tochter zu suchen.
Doch Ayten (Nurgul Yesilcay) ist bereits nach Deutschland geflohen, da sie in der Türkei als Mitglied einer Untergrundbewegung verfolgt wird. Fatih Akin unterstreicht die Willkür seiner Geschichten, indem er eine Zufallsbegegnung der Charaktere ein ums andere mal knapp scheitern lässt. Durch diese Momente gewinnen die nur lose verknüpften Episoden erheblich an Dramatik. Diese Momente des “Es hätte alles auch anders kommen können” haben bisweilen eine zynische Qualität.
Während sich Nejat also in die Türkei aufmacht, hilft in Deutschland die Studentin Lotte (Patrycia Ziolkowska) der mittellosen Ayten in ihrer Notlage aus. Zwischen beiden entwickelt sich eine innige Beziehung, sehr zum Leidwesen von Lottes Mutter (Hannah Schygula). Die hält wenig von den Ansichten der rebellischen Ayten. Doch Lotte hält an Ayten fest, auch als diese ernste Probleme mit den deutschen Behörden bekommt…
Der zweite Teil von Akins Trilogie handelt von Vergebung, und wie die meisten seiner Filme auch von Heimat. Die ist bei Akin kein festes Konstrukt, schon gar keine nationalistische Floskel oder eine Angabe im Pass, sondern ein Gefühl, das sich als plötzliche Sehnsucht äußert. Durch verschiedene Erzählstränge, mehrere Handlungsorte und Zeitebenen entführt Auf der anderen Seite sein Publikum auch auf eine Reise, die diese Sehnsucht spürbar macht. Und diese Sehnsucht kann auch durch einen anderen Menschen erfüllt werden, wie der Film deutlich macht.
Nach Gegen die Wand ist Auf der anderen Seite der langsamere, nachdenklichere Film. Er kann aufgrund der episodenhaften Erzählform nicht ganz die Intensität des ersten erreichen, doch die Darsteller schaffen es, sofort ein Interesse an ihren Figuren zu wecken. Akin - der dafür bekannt ist, Topstars zugunsten unbekannter Schauspieler abzulehnen - hat auch diesmal wieder eine glückliche Hand bei der Auswahl der Darsteller bewiesen. Da ist es beinahe schade, dass sich Akin für seinen dritten Teil von “Liebe, Tod und Teufel” schon wieder neue Talente suchen muss.
Heiko “Tico” Titz